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Emanuel Schaffer und die Nivchéret

27. November 2014

schefferBei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich werden erstmals 24 statt 16 Mannschaften antreten. Die 53 Nationen spielen die 24 Plätze in neun Fünfer- oder Sechsergruppen aus. Die neun Gruppensieger, die neun Gruppenzweiten und das beste drittplatzierte Team sind direkt für die Endrunde qualifiziert. Die acht restlichen drittplatzierten Teams treten in den Play-Offs gegeneinander an und spielen die verbleibenden vier Teilnehmer aus.

Zu den großen Überraschungen in der bisherigen Qualifikation zur Europameisterschaft zählt zweifellos die israelische Fußball Nationalmannschaft. In der Gruppe B liegt die „Nivchéret“ von Trainer Eli Guttman mit drei Siegen aus drei Spielen auf Platz eins. Am 16.11.2014 zog WM-Teilnehmer Bosnien-Herzegowina mit 0:3 in Israel den Kürzeren. Israels Torschütze vom Dienst, der Angreifer von Austria Wien, Omer Damari schlug wieder zu und führt somit die aktuelle Torschützenliste (gemeinsam mit Danny Welbeck) mit fünf Treffern an.

Neben Omer Damari gehört Tal Ben Haim von Standard Lüttich zu den bekannteren aktuellen Spielern der israelischen Nationalmannschaft. Eli Guttman, der ehemalige Meistermacher von Hapoel Haifa und Hapoel Tel Aviv, trainiert die „Nivchéret“ seit 2012 und die Chancen bei dem Turnier 2016 in Frankreich dabei zu sein sind sehr gut. Die beiden nächsten Spiele am 28.3. und 31.3.2015 gegen Wales und Belgien, jeweils in Israel könnten bei Heimsiegen bereits für eine Vorentscheidung zugunsten Israels sorgen.

Die letzten Jahrzehnte scheiterte Israel, trotz guter Nachwuchsarbeit und guten Spielen, aber wegen fehlender Ergebnisse, oftmals knapp an Qualifikationsturnieren für die Europa- oder Weltmeisterschaft. Seit der WM in Mexiko 1970 konnten sich Israels Kicker für kein großes Turnier mehr qualifizieren. Emanuel Schaffer war in Mexiko der Trainer der israelischen Auswahl. 1968 wurde Emanuel Schaffer  Cheftrainer der „Nivchéret“. „Eddy“ Schaffers erster Arbeitstag begann mit einem Missverständnis. Der neue Nationaltrainer stellte sich der Mannschaft mit folgenden Worten vor: „Ab jetzt haben wir dreimal Training.“ Die Spieler nahmen dies zur Kenntnis und wollten wissen, an welchen Tagen sie kommen sollten. „Um 7 Uhr, um 11 Uhr und um 15 Uhr“, antwortete der neue Coach. So hat der Profifußball in Israel begonnen. Und die Ara einer Mannschaft, die zu einem nie mehr dagewesenen Höhenflug ansetzte.

Am 11. Februar 1923 wurde Emanuel Schaffer im polnischen Drohobycz in der Nähe von Lwow  geboren. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie ins Ruhrgebiet nach Recklinghausen. Als die Nazis 1933 in Deutschland die Macht übernahmen, erkannte der Vater die Gefahr, die Familie verließ Recklinghausen und floh mit dem elfjährigen Eddy und seinen drei Schwestern über Frankreich 1934 zurück ins ostpolnische Galizien. Emanuel wechselte seine Muttersprache von Deutsch zu Polnisch. In Drohobycz besuchte Eddy das Gymnasium und spielte Fußball bei Betar Drohobycz, einem  Klub der zionistischen Jugendbewegung. Drohobycz wurde am 22. Juni 1941 von der deutschen Wehrmacht überfallen und Lwow wurde zu Lemberg.  Als Lwow 1941 zu Lemberg geworden war, ermordeten die Deutschen und ihre ukrainischen Kollaborateure in der Stadt und ihrer Umgebung 400.000 Juden und 140.000 russische Gefangene. In das Haus der Schaffers drangen deutsche Mörder ein und löschten alle anwesenden Familienmitglieder aus. Der Vater, die Mutter und die drei Schwestern von Emanuel Schaffer wurden ermordet. Nur der 17-jährige Emanuel entkam dem deutschen Zugriff. „Ich war in der Schule, als die Nachricht gekommen ist. Die Russen sind alle weggelaufen, also bin ich einfach mitgerannt“, erinnert sich Emanuel Schaffer. Der jüdische Waise erkrankte bald an Diphtherie und Typhus und kam dann nach Alma Ata in Kasachstan, wo er vier Jahre lang in einem Arbeitslager interniert wurde. Schaffer arbeitete in einer Schuhfabrik und spielte Fußball bei Dynamo Alma Ata.

Nach Kriegsende und der Befreiung vom Nationalsozialismus  kehrte Schaffer nach Polen zurück. Er war ein unerwünschter Überlebender, nicht zuletzt wegen des polnischen Antisemitismus wollte er nach Palästina auswandern. Fehlende Papiere, das Einreisestopp der Briten und die Einberufung in die polnische Armee zwangen Schaffer 1950 über die Tschechoslowakei, Österreich und Italien nach Israel zu fliehen. Zum vierten Mal in seinem jungen Leben musste er eine neue Existenz aufbauen, aber zum ersten Mal fühlte er sich, nicht zuletzt dank seines fußballerischen Talents, wirklich willkommen. Seine Länderspielbilanz in Israel waren sechs Spiele und sechs Tore. 1958, sieben Jahre vor der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, ließ er sich an der Sporthochschule Köln, mit einem Diplom von Hennes Weisweiler, ausbilden. Mit Schaffer gelang auf Anhieb, was zuvor noch keiner anderen israelischen Nationalelf gelungen war, der Sprung zu den Olympischen Spielen in Mexiko. Allerdings boykottierten die zugelosten Gegner Burma, Iran und Indien den Staat der Juden, so reichten zwei Siege über Ceylon (7:0,4:0), um das erste und billigste Olympiaticket aller Zeiten zu lösen. Erst im Viertelfinale scheiterte Israel an Bulgarien. Nach einem 1:1-Remis nach Verlängerung entschied das Los. Zwei Zettel wurden beschriftet und in einen Sombrero geworfen. Der französische Schiedsrichter zog „Bulgarien“ heraus und Israel musste ungeschlagen, aber erhobenen Hauptes nach Hause fahren.

Schaffer gab sich mit diesem Achtungserfolg nicht zufrieden. Er bereitete sein Team systematisch auf die Qualifikation für die WM 1970 vor, unter anderem mit einem Trainingslager in der Sportschule Hennef. Nach zwei Siegen (4:0 und 2:0) gegen Neuseeland stand nur noch Australien der Verwirklichung des Traumes im Wege. Über 50.000 Zuschauer sahen in Raurat einen 1:0-Sieg. Schütze des goldenen Tores war Israels Spielmacher Mordechai Spiegler. Das Rückspiel in Sydney endete 1:1. „Eddy“ Schaffer verließ das Spielfeld auf den Schultern seiner Spieler. Innerhalb von zwei Jahren hatte Schaffer Israels Nivchéret in den Kreis der Weltelite geführt. Bei der WM in Mexiko verlor Israel zwar in der Gruppenphase nur gegen den späteren WM-Vierten Uruguay mit 0:2 Toren, doch mit zwei Punkten schied das Team nach der Vorrunde aus. Gegen den späteren Vizeweltmeister Italien trennte sich die Nivchéret 0:0 unentschieden wie beim 1:1 gegen Schweden. Beim Spiel gegen Schweden am 7. Juni 1970 schoss sich Mordechai Spiegler mit seinem linken Fuß in die Sportannalen Israels. Aus 25 Metern, mit starkem Rückenwind, das „Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben„, erzielte Spiegler in Tuluka das 1:1 gegen Schweden. Es war der erste Treffer für die israelische Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft und es blieb bisher der einzige. Später spielte Mordechai Spiegler mit Pelé und Franz Beckenbauer bei Cosmos New York.

Trotz des vorzeitigen Ausscheidens wurde die Nivchéret bei der Landung in Tel Aviv gefeiert wie ein Weltmeister. Die zwei Punkte und das eine Tor waren ein Triumph für den jungen Staat, der erst 22 Jahre zuvor gegründet worden war. 1971 ging die erfolgreichste Trainer-Ära in Israels Fußball zu Ende. 1978 übernahm Schaffer zwar noch einmal das Amt des Nationaltrainers, konnte aber nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen. Am 28. Dezember 2012 starb Emanuel Schaffer, nach langer Krankheit im Alter von 89 Jahren im von polnischen Einwanderen 1923 gegründeten israelischen Ramat Hasharon. An seinem Grab sagte Avi Luzon, der Präsident des israelischen Fußballverbands: „Er war der größte Trainer, den wir je hatten.

Sollte Israels Fußballteam seine beiden Heimspiele im März 2015 gegen Wales und Belgien gewinnen, kann die Reise nach Frankreich gebucht werden und Eli Guttman könnte an die großen Zeiten von Emanuel Schaffer anknüpfen.

Quelle: Stefan Mayr: Zwischen Intifada und Champions League. Fußball in Israel – aus: Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.): Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball, Göttingen 2003 (Verlag: Die Werkstatt)

3 Kommentare leave one →
  1. Mo.Goldstein permalink
    29. November 2014 15:53

    … das Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben…

    -> sehr schön

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  2. 29. November 2014 18:01

    „Nach Israel zurückgekehrt, trainierte er die Mannschaft der Luftwaffe und anschließend das Nachwuchsnationalteam. 1967 wurde Schaffer zum Teamchef ernannt. Parallel dazu baute er eine Trainerschule nach deutschem Vorbild auf. Mit seinem Mentor Weisweiler, der mittlerweile bei Borussia Mönchengladbach mit jungen Spielern das »Fohlenwunder« eingeläutet hatte, hielt er Kontakt. So entstand eine Reihe von Gastspielen der Gladbacher in Israel. Das erste fand am 28. Februar 1970 vor 30.000 Zuschauern im ausverkauften Bloomfield-Stadion in Tel Aviv statt. Borussia gewann 6:0, und die Zuschauer feierten Netzer & Co. mit stehenden Ovationen. »Also, ich verstehe die Welt nicht mehr! Wir mühen uns jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen Sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen«, soll ein Vertreter der deutschen Botschaft bereits in der Halbzeitpause zu Gladbachs Geschäftsführer Helmut Grashoff gesagt haben. Die diplomatische Verwirrung war durchaus zu verstehen. Ein Jahr später bei der ersten Deutschen Kulturwoche in Tel Aviv wurden Günter Grass und andere als progressiv geltende Literaten noch mit Tomaten und Eiern beworfen.“

    http://ballesterer.at/heft/weitere-artikel/abschied-eines-ueberlebenden.html

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  3. 2. Dezember 2014 17:21

    Almog Cohen vom FC Ingolstadt spielte gegen Malta in der israelischen Mannschaft. Das ist ein Typ wie Jens Jeremies. Gefällt mir gut der Junge.

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