Die Justizreform in Israel und ihre Kritiker
Nach den Plänen der neuen Regierung in Israelunter Benjamin Netanjahu soll die Justiz reformiert werden. Die Richter des Obersten Gerichtshof sollen beispielsweise künftig vom gewählten Parlament ernannt werden und nicht länger von einem nicht gewählten Gremium. Seit Monaten gibt es in Israel Massenproteste gegen diese geplante Justizreform und gegen die Netanyahu-Regierung, hauptsächlich von Wählern der Opposition. Benjamin Netanjahu ist davon überzeugt, die Opposition will die gewählte Regierung stürzen: “Die Tatsache, dass die Opposition zwei Monate lang auf unsere wiederholten Gesprächsaufrufe nicht reagiert hat, beweist, dass die Opposition nicht an der Reform interessiert ist, sondern an der Schaffung von Anarchie und dem Sturz der gewählten Regierung.” Die Justizreform sei dafür nur ein Vorwand so der israelische Ministerpräsident. Mit Blick auf die Autobahn- und Straßenblockaden, die Zerstörungswut der Demonstranten sagte Netanjahu: “Man kann nicht für die Rechtsstaatlichkeit sein und gleichzeitig zu Gesetzesverstößen aufrufen.” Knesset-Mitglieder werden in ihren Privatwohnungen von Demonstranten belagert und auf der Straße wird der Tod Netanjahus gefordert.
In den deutschen Einheitsmedien überschlagen sich die Kommentatoren wie üblich in der Verurteilung Israels und seiner „rechtsextremen“ Regierung. „Stirbt die Demokratie“ titeln „sorgenvoll“ die deutschen Zeitungen. Thomas M. Eppinger dazu sehr treffend in Mena-Watch: „Umso bemerkenswerter, wenn auch nicht überraschend, finde ich, dass Europa von der israelischen Innenpolitik nahezu besessen scheint. Jeder Nachrichtenleser oder -hörer kennt mittlerweile den Namen des neuen israelischen Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Die Namen der Innenminister von Rumänien, Tschechien oder Spanien dürften den Wenigsten bekannt sein.“
Nach der Ermordung von sechs Millionen Juden hat die bisher letzte Nachfolgerin Joachim von Ribbentrops, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die nebenbei nach dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit 27 Millionen Ermordeten „Russland ruinieren“ will, Israels Pläne für eine Justizreform naturgemäß kritisiert. Baerbock wolle „nicht verhehlen, dass wir uns im Ausland Sorgen machen über einige gesetzgeberische Vorhaben in Israel“.
Israel hat wie viele westliche Länder keine Verfassung, dafür verschiedene Grundgesetze. Die Grundgesetze unterscheiden sich von normalen Gesetzen nur durch ihren Namen. Das Oberste Gericht hat noch nie ein Grundgesetz für ungültig erklärt, aber die Richter sind der Auffassung, dies tun zu können. Eines dieser Gesetze regelt wie die fünfzehn Obersten Richter ernannt werden, die in erster Linie selbst ihre Nachfolger bestimmen. Wegen der sozialistischen Wurzeln Israels standen und stehen diese Richter politisch eher links, obwohl das Land sich vor allem wegen des ständigen Terrors der arabischen Nachbarn anders entwickelte und die Linke in den Wahlen seit Jahrzehnten in Israel kaum mehr eine Rolle spielt.
Wie notwendig und überfällig eine Justizreform ist zeigen folgende Beispiele. Obwohl vom Wähler nicht legitimiert können die Obersten Richter politischen Einfluss nehmen und Entscheidungen treffen. Mit dem Instrument der „Verhältnismäßigkeit“ kann das Gericht willkürlich Entscheide der Regierung kippen, die es für „nicht vernünftig“ hält. Jede Richtlinie der Generalstaatsanwältin ist für die Regierung bindend, so hat sie absurderweise dem Ministerpräsidenten Netanyahu verboten, sich zur Justizreform zu äußern, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft. Das Oberste Gericht entscheidet ob jemand einen Ministerposten übernehmen darf oder nicht und es entscheidet ob die Regierung beispielshalber ein Gasabkommen mit dem Libanon treffen darf oder eben nicht.
Entgegen dem sonstigen Einheitsgewäsch war in der linken Monatszeitschrift Konkret ein wohltuend vernünftiges Interview mit Alan M. Dershowitz zur Justizreform zu lesen. Alan M. Dershowitz ist ein US-amerikanischer Jurist, einer der bekanntesten Strafverteidiger der USA und seit 1993 Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls für Rechtswissenschaften an der Harvard University. Sein Buch „Plädoyer für Israel – Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen“ ist zum Einstieg in den Nahost-Konflikt sehr zu empfehlen.
Alan M. Dershowitz: „Die vorgeschlagenen Justizreformen gefährden in keiner Weise die israelische Demokratie, in mancher Hinsicht stärken sie diese sogar. Sie entziehen einem nicht gewählten Gericht Einfluss und übertragen ihn den Vertretern des Volkes, der Knesset. Aber sie verletzen Minderheitenrechte und Bürgerrechte und andere Rechte. Man muss genau unterscheiden zwischen Demokratie, also der Herrschaft der Mehrheit, und bürgerlichen Freiheiten, die dafür sorgen, dass Menschen, die nicht die Mehrheit sind, auch Rechte haben. In vielen Ländern hat heute das Parlament das letzte Wort. Dort gibt es keine gerichtliche Kontrolle. Trotzdem sind es funktionierende Demokratien.
Die Reformen haben also überhaupt keine Auswirkungen auf die Demokratie, sie könnten aber Auswirkungen auf die bürgerlichen Freiheiten haben. Deshalb bin ich gegen sie. Aber das sollte man nicht überbewerten. Israel bliebe auch nach den Reformen einer der demokratischsten Staaten der Welt, mit einer dynamischen freien Presse und dem Recht anderer Meinung zu sein wie wir gerade sehen können: 100.000 Menschen protestieren. Man sollte also nicht annehmen, dass Israels Demokratie in Gefahr ist. Im Gegenteil. Ich glaube diese Diskussion geht am Thema vorbei.“
Auf das Argument, dass es in Israel sehr wenig Kontrollmechanismen für den Obersten Gerichtshof gibt, antwortet Dershowitz, dass dies in den USA ähnlich gelagert ist und er stellt die Gegenfrage: Warum interessieren sich die Deutschen und die Europäer so sehr für den innenpolitischen Streit in Israel. „Der geht euch nichts an“
Konkret: „Der Grund ist Antisemitismus, anders kann man es nicht erklären. Die deutsche Obsession resultiert zudem aus dem Wunsch der Normalisierung.“
Darauf Dershowitz: „Die Justizreformen in Israel sind ein Thema, bei dem vernünftige Menschen unterschiedlicher Meinung sein können. Ich bin größtenteils dagegen. Aber ich bin nicht besessen davon, ob etwa Deutschland eine angemessene gerichtliche Kontrolle hat, ob das Gericht in Straßburg einigen Ländern die Souveränität verweigert. Das interessiert mich wenig. Meine eigentliche Frage ist also: Warum gibt es unter den Europäern eine solche Besessenheit von Israel?“
Dershowitz weiter: „Ich denke, dass der Oberste Gerichtshof in Israel derzeit zu viel Einfluss hat. Er sollte nicht darüber entscheiden können, ob jemand wie Ade Deri in die Regierung gehört oder nicht. Das ist keine ordentliche richterliche Funktion. Er sollte nicht entscheiden, ob das Gasabkommen mit dem Libanon vernünftig oder unvernünftig ist. Ich wäre also für einen Kompromiss, beidem die Knesset wirtschaftliche und politische Entscheidungen des Gerichts ausheben könnte, aber keine Entscheidungen, die Minderheitenrechte, grundlegende bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte betreffen. In diesen Fällen sollte der oberste Gerichtshof das letzte Wort haben.
Ich habe Benjamin Netanjahu diesen Kompromiss vorgeschlagen, als ich ihn etwa vor einem Monat in Israel sah, und er schien offen zu sein. Er benutze immer wieder das Wort Balance. Und deshalb hoffe ich, dass es zu einem Kompromiss kommen wird, bei dem das Oberste Gericht in einigen Fragen Einfluss verliert und in anderen Fragen Einfluss behält.“
Wie in vielen westlichen Demokratien gibt es in Israel natürlich auch Pseudolinke, Pseudoliberale und „woke“ Pseudo-Klimaretter. Wähler der aktuellen Regierung sind davon überzeugt, dass die Demonstranten nicht nur wegen der Justizreform auf die Straße gehen, sondern gegen das demokratisch gewählte Kabinett Netanjahu, das ihnen nicht passt und viele davon glauben, dass Demonstranten aus dem Ausland bezahlt (250 NIS pro Tag der Teilnahme) und gesteuert sind. Laut Israel National News wurde den Demonstranten per WhatsApp 70 Dollar plus Benzingeld geboten, um an der Blockade des Flughafens Ben Gurion am Donnerstag teilzunehmen. Diverse NGOs finanzieren die Proteste, so zum Beispiel der New Israel Fund oder die NGO ACRI. ACRI wird unter anderem von der EU, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg Stiftung finanziert. ACRI führt zusammen mit NGOs wie HRDF und HaMoked seit langem eine Diffamierungskampagne gegen Benjamin Netanjahu.
Israel ist eine unabhängige Nation, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Mit Hilfe der Sowjetunion wurde Israel gegründet, nicht zuletzt wegen seinen ursprünglichen sozialistischen Wurzeln. Die USA sind ein Verbündeter Israels, haben sich aber nicht immer hinter die Politik Israels gestellt, siehe die Suez-Krise, als sich Israel mit England und Frankreich verbündete. Der sogenannte von Obama eingefädelte Iran-Deal gefährdete die Existenz Israels, Donald Trump kündigte den faulen Deal und die aktuelle Biden-Administration macht da weiter wo Obama aufgehört hat. Israel war und bleibt klug genug sich nicht nur auf die USA zu verlassen.
Während des völkerrechtswidrigen Krieges der NATO, den Bombardierungen mit Uran-Munition, gegen die zivile Infrastruktur gegen Jugoslawien unterstützte Israel die Serben. Ariel Sharon lieferte Waffen an die Serben. Scharon warnte vor der albanischen Kosovo-Autonomie und er warnte vor einem „Zentrum des islamischen Terrors“, er kritisierte die NATO-Bombardierung Jugoslawiens als einen Akt des „brutalen Interventionismus.“ Während des Krieges erklärte der Knesset-Abgeordnete Elyakim Haetzni, die Serben sollten die ersten sein, die israelische Hilfe erhalten und so hat Israel trotz UN-Embargo Waffen an Serbien geliefert. Zudem hat der jüdische Staat gegen den westlichen Mainstream seine Botschaft in Serbien unmittelbar nach dem Krieg eröffnet.
Nach wie vor liefert Israel keine Waffen an die Ukraine und beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland was einen großen Teil der westlichen Politiker und deren angeschlossenen Medien fassungslos macht. Im Gegensatz zu den USA und Europas hat Israel die antisemitischen Bündnisse während des Holocaust nicht vergessen. Der westukrainische Antisemitismus, die entsprechende Geschichtsverfälschung und die Holocaustrelativierungen von westukrainischen Politikern und deren Unterstützern sind bei israelischen Politikern im Gegensatz zu den europäischen Politkern nach wie vor präsent.
Als Benjamin Netanjahu am 9. Mai 2018, am „Tag des Sieges“ als Ehrengast den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz feierte und Seite an Seite mit Wladimir Putin über den Roten Platz schritt, steckte an seinem Revers das St.-Georgs-Band, das Hauptsymbol des russischen Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“. Das schwarz-orange gestreifte Band ist auch das Symbol der von Russland unterstützten Kämpfer im Donbass. Bei der Militärparade zogen zehntausende Russen mit Porträts ihrer Vorfahren, die im Zweiten Weltkrieg bei der Roten Armee gedient hatten, an den Kremlmauern vorbei. Wladimir Putin trug ein Foto seines Vaters und Benjamin Netanjahu ein Porträt eines hochdekorierten jüdischen Rotarmisten, der Anfang der 1980er-Jahre als alter Mann aus der Sowjetunion nach Israel ausgewandert war. Im Gegensatz dazu wird in den meisten westlichen Medien der Eindruck erweckt nur die USA, Frankreich und England haben gegen die Nazis gekämpft. Israel aber weiß, dass die Sowjetunion Auschwitz befreit und den größten Blutzoll, 27 Millionen Tote für die Befreiung vom Nationalsozialismus bezahlt hat.
Die Bennett-Lapid-Vorgängerregierung hatte Islamisten mit in der Regierung, paktierte mit Islamisten, die das Ende Israels herbeisehnen, was keinen der heutigen Kritiker interessierte. Naftali Bennett und die anderen Mitglieder dieser Regierung sollten sich nicht wundern, dass diese Regierung eindeutig abgewählt wurde und Benjamin Netanjahu mit seinem rechten Bündnis endlich eine klare Mehrheit in der Knesset hat. Dass die deutschen Politiker mit ihren angeschlossenen Einheitsmedien lieber Islamisten in Israel an der Macht sähen ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis.
Es geht auch aus meiner Sicht weniger um die überfällige, in seiner Form noch leicht zu korrigierenden, israelische Justizreform, als um den Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten. Unwillkürlich ist man an den vom westlichen Ausland finanzierten und orchestrierten Maidan-Putsch von 2014 erinnert. So enthüllte zudem die Journalistin Caroline Glick, wie die Biden-Regierung die NGO Movement for Quality Government in Israel (MQG) finanziert, dem Drahtzieher der aktuellen Proteste. Der Republikaner aus Arkansas, US-Senator Tom Cotton beschuldigte Joe Biden und die Demokratische Partei am Regimewechselversuch beteiligt zu sein. Die USA und die EU versuchen offenkundig wieder einmal mit ihren Kombattanten im Namen der Freiheit und der Demokratie eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Antisemitismus und die eigenständige geschichtsbewusste Politik Israels und Netanjahus sind die Gründe der antiisraelischen Gegnerschaft. Es bleibt zu hoffen, dass die Insel der Aufklärung dem widersteht und weiterhin der Fels in der Brandung bleibt.
Man muss mich nicht zwingen, Benjamin Netanjahu hochleben zu lassen. Ich bin seit vielen Jahren bereit dazu.
Gleichzeitig veröffentlicht bei Fisch&Fleisch
Auf diese Argumentationshilfe habe ich gewartet. Die Tagesschau überschlägt sich bei dem Thema förmlich.
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Das hört sich so optimistisch an aber ich habe dennoch Angst um Israel. Es gibt auch in den russischen Medien eine starke Hetze gegen Israel. Dort gilt das Land als „us-amerikanischer Vasall“. Sicher ist nur, das Riad nicht auf die Reaktion der USA gewartet hat, nachdem sie ihre Bedingungen für einen Frieden mit Israel genannt haben. Ich hoffe nur, dass Bibi, der zwar korrupt sein mag aber ein glänzender Diplomat ist, Russland und vielleicht auch China dazu bewegen kann, solche Garantien für Riad abzugeben.
Und was die Proteste in Israel angeht, so denke ich, dass Lapid, der ja viele Unterstützer aus dem „woken“ Lager hat, seine Niederlage gegen den Erzfeind nicht verkraften kann. Abgesehen davon, ist das Richterrecht weit verbreitet, Ungarn hat das auch, was regelmäßig zu Problemen mit dem EU Gerichtshof führt. Ist aber alte Tradition in Europa, dem die Habsburg-Lander alle folgen.
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Geht mir ähnlich. Die Justizreform ist nur der Aufhänger. Die Hetze gegen Israel wird immer universeller. Die amerikanische Politik wird immer gefährlicher wie mir scheint, die Welt ist völlig aus den Fugen geraten. Die Milliardensummen für die amerikanische Bankenrettung könnten die Waffenlieferungen für die Ukraine etwas abbremsen, vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall und Biden eskaliert genau deshalb und Israel ist im Schatten der iranischen Bombe mittendrin.
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Die USA scheinen Israel fallen zu lassen. Die Berichterstattung in den Medien ist unterirdisch, wie immer.
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So sehe ich das auch.
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Ich auch und das war absehbar.
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Die israelische Gesellschaft ist gespalten, wie überall in den westlichen Demokratien. Die Kritiker übertreiben, wie Dershowitz es so gut beschreibt. Israel ist in Gefahr von innen wie von außen.
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„Die Insel der Aufklärung“
Sehr schön.
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Was ist übertrieben, die Gefahr oder die Kritik?
Die Justizreform ist eine Angelegenheit von Israel, die ist mir herzlich egal. Nicht egal sind mir die Demonstrationen, die kapieren offenbar nicht, dass jeder Jude in Gefahr ist, ob liberal oder orthodox.
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Wie Dershowitz sagt: „Die vorgeschlagenen Justizreformen gefährden in keiner Weise die israelische Demokratie, in mancher Hinsicht stärken sie diese sogar. Sie entziehen einem nicht gewählten Gericht Einfluss und übertragen ihn den Vertretern des Volkes, der Knesset.“
Die Justizreform ist überfällig.
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Israel ist in Gefahr, ich vermisse viele Verteidiger wie dich.
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„Bei der Unterstützung der USA für die Demonstrationen in Tel Aviv geht es nicht um die Zukunft des israelischen Justizwesens. Es geht darum, Israel in Handschellen zu legen, während der Iran die Bombe bekommt“, schreibt Lee Smith im Tablet Magazine.
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Israelis sehen auch, dass die Regierung Biden kontinuierlich israelfeindliche Entscheidungen getroffen hat, einschließlich der erneuten Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde, ohne auch nur zu verlangen, dass diese dem Terrorismus abschwört. Die Regierung hat auch das Ziel einer „Zweistaatenlösung“ wieder ins Spiel gebracht: Sollte ein palästinensischer Staat entstehen, könnte er – und würde er höchstwahrscheinlich – als Startrampe für Angriffe auf Israel genutzt werden, wie es der palästinensische „Stufenplan“ vorsieht: Holt euch so viel Land wie möglich, und benutzt es dann, um den Rest zu bekommen.
Die Israelis haben vor allem gesehen, dass die Biden-Regierung nie aufgegeben hat, dem Mullah-Regime im Iran unbegrenzte Atomwaffen zu ermöglichen – und das, obwohl die Mullahs die völkermörderische Zerstörung Israels zu ihrem obersten Ziel erklärt haben.
Dementsprechend wählten Millionen Israelis am 1. November 2022 Benjamin Netanjahu zum israelischen Premierminister, der eine breite Koalitionsregierung anführt. Wie in jeder Demokratie sind sie bereit, die Erwartungen der Mehrheit, die sie an die Macht gebracht hat, zu erfüllen. Zu diesen Erwartungen gehören der entschlossene Kampf gegen den Terrorismus und andere Bedrohungen sowie die Gewährleistung der Sicherheit des Landes, was die erste Pflicht jeder Regierung ist. Die Koalition hat sich auch verpflichtet, das Gleichgewicht zwischen der Knesset und dem Obersten Gerichtshof wiederherzustellen.
In Grossbritanniein hat das Parlament das letzte Wort – nicht der Oberste Gerichtshof. In den letzten 30 Jahren war dies in Israel nicht der Fall.
In den 1990er Jahren führte der Präsident des israelischen Obersten Gerichtshofs, Aharon Barak, mit der Erklärung, „alles ist justiziabel“, eine „juristische Revolution“ durch, durch die sich der Gerichtshof praktisch alle politischen Befugnisse anmaßte, einschließlich der Möglichkeit, Gesetze und sogar operative Entscheidungen des Verteidigungsministeriums und der IDF außer Kraft zu setzen.
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Die von der Regierung vorgeschlagenen Reformen würden lediglich die „Checks and Balances“ und die Gewaltenteilung wiederherstellen, die in Israel vor Baraks „Revolution“ bestanden.
Seit Baraks Amtszeit sind Israels Oberster Gerichtshof und der Generalstaatsanwalt zu einer sich selbst wählenden Gruppe geworden, die weder von der Öffentlichkeit noch von deren Vertretern gewählt wird. Da es keine Verfassung gibt, stützen sich ihre Entscheidungen zunehmend nicht mehr auf das Gesetz, sondern auf die von ihnen erfundene Doktrin der „Angemessenheit“, die oft zu „was immer ich für angemessen halte“ führt.
Gegenwärtig kann der Oberste Gerichtshof Israels neben anderen freizügigen Befugnissen ein quasi der Verfassung gleichgesetztes Grundgesetz auf der Grundlage der „Angemessenheit“ außer Kraft setzen, Petitionen von jedermann unabhängig von der Klagebefugnis annehmen (selbst wenn der Petent vom Ergebnis nicht direkt betroffen wäre – eine Regelung, die zu einer Flut von Klagen durch „besorgte“ Nichtregierungsorganisationen geführt hat) und ein Veto gegen politische Ernennungen einlegen. Laut dem Kolumnisten Ron Jager:
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„Der israelische Oberste Gerichtshof hat in den letzten drei Jahrzehnten in Israel eine gerichtliche Realität geschaffen, in der es buchstäblich keine Grenzen für seine Autorität gibt, und er erkennt keine Grenzen oder Beschränkungen an, um einzugreifen und eine gerichtliche Überprüfung von Regierungsmaßnahmen und/oder Gesetzen vorzunehmen… Die Justizreformen zielen nicht darauf ab, Israels Demokratie zu zerstören, sondern sie zu retten und wiederherzustellen.“
Der ehemalige US-Generalstaatsanwalt Michael Mukasey wies auf folgendes hin:
„In Anbetracht der weitreichenden selbst auferlegten Befugnisse des Gerichts fällt es manchmal schwer, den derzeitigen Zustand als rechtsstaatlich zu bezeichnen… Eine echte Reform würde den Unterschied zwischen rechtlichen Fragen, die vor Gericht entschieden werden können, und politischen Fragen, die in die politische Arena gehören, anerkennen. Sie würde auch zulassen, dass Klagen nur von Parteien mit einem direkten und persönlichen Interesse eingereicht werden.“
Die neue Regierung Netanjahu sah sich sofort radikalen Anfeindungen ausgesetzt, und zwar sowohl von ihren politischen Gegnern als auch von einem Großteil der israelischen Medien, und zwar noch bevor sie vereidigt wurde.
Jahrelang hatten sich viele Israelis daran gewöhnt, sich an den Obersten Gerichtshof zu wenden, um günstige „Letztes Wort“-Entscheidungen zu erhalten, die sie im gewählten Parlament, der Knesset, nicht erreichen konnten. Über Nacht haben sie nun ihren Hochsitz verloren.
Die neue israelische Regierung hat gegen keine der Regeln der israelischen Demokratie verstoßen. In einem demokratischen Land, in dem freie und faire Wahlen stattgefunden haben, scheint vielmehr die Forderung nicht demokratisch zu sein, die Entscheidung der Wähler umzustoßen.
Nichtsdestotrotz erklärte der scheidende Interimspremierminister Yair Lapid am 1. Dezember über das neue Kabinett Netanjahu: „Dies ist die Regierung, die demokratisch gewählt wurde, die aber die Demokratie zerstören will“. Der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Ya’alon rief im vergangenen Monat zum Generalstreik auf und behauptete – ohne jede Ironie – die neue israelische Regierung wolle aus Israel „einen faschistischen, rassistischen, messianischen und korrupten Staat“ machen. Am 15. Januar sagte der ehemalige Premierminister Ehud Barak:
„Diese Regierung ist legal, aber eindeutig illegitim, weil sie plant, die israelische Demokratie zu zerschlagen… Dies ist ein Attentat auf die Unabhängigkeitserklärung, und die Demokratie muss sich verteidigen…“
Am 13. Februar drohte der Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai:
„Wenn ein Land durch den demokratischen Prozess zu einer Diktatur wird, kann es nur durch Blutvergießen wieder zu einer Demokratie werden“.
Die Demonstrationen gehen weiter, aber selbst wenn 100.000 Demonstranten teilnehmen, ist das nur eine kleine Zahl im Vergleich zu den 2,4 Millionen Bürgern, die für Israels neue Regierung gestimmt haben.
Hinter dieser Subversion steckt, wie sich herausstellt, niemand anderes als das US-Außenministerium, das Berichten zufolge seit Jahren Gelder an eine „linksextreme“, „Anti-Netanyahu“-Organisation, die „Bewegung für Qualitätsregierung“ („Movement for Quality Government“, MQG), zahlt.
Die Journalistin Caroline Glick stellt fest:
„Die MQG begann ihre derzeitige Kampagne der Delegitimierung, Subversion und Dämonisierung unmittelbar nach der Vereidigung der Regierung Netanjahu am 29. Dezember. Am nächsten Tag beantragte die MQG beim Obersten Gerichtshof, den Schas-Führer Aryeh Deri daran zu hindern, ein Ministeramt in der Regierung zu übernehmen.
„Es gab keine Rechtsgrundlage für die Petition. Aber das störte die Anwälte von MQG nicht….
„Es spielt keine Rolle, dass die Richter in einem Interessenkonflikt stehen, da die von der Regierung vorgeschlagenen Reformen ihre Befugnisse einschränken würden. Um zu verhindern, dass politisierte Richter und Staatsanwälte den Wählerwillen umstoßen, erlaubt das Gesetz ausdrücklich, dass Premierminister nicht nur während eines laufenden Verfahrens, sondern auch im Falle einer Verurteilung im Amt bleiben können. Und es ist auch egal, dass die Anklage gegen Netanjahu vor dem Jerusalemer Bezirksgericht in sich zusammengefallen ist.
„Justizminister Yariv Levin bezeichnete die MQG als ‚eine Bande von Anwälten, die das Wahlergebnis nicht respektieren und daran arbeiten, einen Staatsstreich durchzuführen und den Premierminister aus dem Amt zu entfernen… Dieser Versuch, den Premierminister unter Missachtung des Gesetzes zu entmachten und dabei die demokratischen Wahlen mit Füßen zu treten, unterscheidet sich nicht von einem Putsch, der mit Panzern durchgeführt wird. Das Ziel ist das gleiche…‘
„Da die Haupttätigkeit der MQG darin besteht, die Demokratie in Israel zu untergraben, indem sie Gesetze bekämpft und Chaos sät, um demokratisch gewählte rechte Regierungen daran zu hindern, ihre Versprechen gegenüber den Wählern zu erfüllen, ist es ziemlich klar, dass die MQG, wenn sie von ‚Demokratieerziehung‘ spricht, nicht die Mehrheitsherrschaft meint.“ ….
Weiterlesen hier:
https://de.gatestoneinstitute.org/19483/israel-druck-bidens-plan
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Mein Beitrag hat wie viele Beiträge von mir über Israel Bezüge oder abgewandelte Redewendungen auf den Essay von 1969 „Der ehrbare Antisemitismus“ von Jean Améry.
Jean Améry wuchs als Hans Mayer in Lederhosen in Wien bei seiner katholischen Mutter auf, erst die Nürnberger Gesetze machten ihn zum Juden. Améry war Schriftsteller, Journalist, Atheist, Auschwitzüberlebender und er fühlte sich der äußersten Linken zugehörig die er oft kritisierte. Seine Auschwitznummer 172 364, schrieb er einst, lese sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gebe zudem gründlicher als diese Auskunft über eine jüdische Existenz.
Wegen den aktuellen Diskussionen über Israel ist es wieder an der Zeit an Jean Améry zu denken:
Jean Améry – Der ehrbare Antisemitismus (1969)
De Gaulle fiel. Manch einem war trüb zumut wie einem Heineschen Grenadier; mir auch, mir auch. Nur leider, dass in New York dem französischen UNO-Delegierten Armand Bérard nichts besseres einfiel, als verzweifelt auszurufen (laut “Nouvel Observateur” vom 5.Mai): “C’est l’or juif!” Und kein Dementi. Rechter Hand, linker Hand alles vertauscht. Der Antisemitismus schafft’s und, wie es einst bei Stefan George hieß: “… er reißt in den Ring.” Das klassische Phänomen des Antisemitismus nimmt aktuelle Gestalt an. Der alte besteht weiter, das nenn ich mir Koexistenz. Was war, das blieb und wird bleiben: der krummnasige, krummbeinige Jude, der vor irgendwas – was sag ich? – der vor allem davonläuft. So ist er auch zu sehen auf den Affichen und in den Pamphleten der arabischen Propaganda, an der angeblich braune Herren deutscher Muttersprache von einst, wohlkaschiert hinter arabischen Namen, mit kassieren sollen. Die neuen Vorstellungen aber taten auf die Szene gleich nach dem Sechs-Tage-Krieg und setzen langsamerhand sich durch: der israelische Unterdrücker, die mit dem ehernen Tritt römischer Legionen friedliches palästinensisches Land zerstampft. Anti-Israelismus, Anti-Zionismus in reinstem Vernehmen mit dem Antisemitismus von dazumal. Der ehern tretende Unterdrücker- Legionäer und der krummbeinige Davonläufer stören einander nicht. Wie sich endlich die Bilder gleichen! Doch neu ist in der Tat die Ansiedlung des als Anti-Israelismus sich gerierenden Antisemitismus auf der Linken. Einst war das der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integrierender Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden, und so macht jeder Sozialist sich selber freien Willens zum dummen Kerl. Den Prozeß kann man nutzbringend nachlesen in dem schon vor mehr als einem Jahr in Frankreich bei Pauvert erschienenen Buch “La Gauche contre Israel” von Givet. Es genügt aber auch, gewisse Wegmarken zu erkennen, beispielsweise eine in der Zeitschrift “konkret” erschienene Reportage zu lesen: “Die dritte Front”. “Ist Israel ein Polizeistaat?” heißt da ein Zwischentitel. Die Frage ist nur rhetorisch. Natürlich ist Israel das. Und Napalm und gesprengte Häuser friedlicher arabischer Bauern und Araber-Pogrome in den Straßen von Jerusalem. Man kennt sich aus. Es ist wie in Vietnam oder wie es einstens in Algerien war. Der krummbeinige Davonläufer nimmt sich ganz natürlich aus als Schrecken verbreitender Goliath. Es ist von der Linken die Rede und keineswegs nur von den noch mehr oder minder orthodoxen kommunistischen Parteien im Westen oder gar von der Politik der Staaten des Sozialistischen Lagers. Für diese gehört der Anti-Israelismus, aufgepfropft auf den traditionellen Antisemitismus der slawischen Voelker, ganz einfach zur Strategie und Taktik einer so und so gegebenen politischen Konstellation. Die Sterne lügen nicht, die Gomulkas wissen, worauf sie rechnen dürfen. *C’est de bonneguerre!* Darüber ist kein Wort zu verlieren. Schlimmer ist, dass die intellektuelle Linke, die sich frei weiß von Parteibindungen, das Bild übernimmt. Jahrelang hat man – um einmal von Deutschland zu reden – den israelischen Wehrbauern gefeiert und die feschen Mädchen in Uniform. In schlechter Währung wurden gewisse Schuldgefühle abgetragen. Das musste langweilig werden. Ein Glück, dass für einmal der Jude nicht verbrannt wurde, sondern als herrischer Sieger dastand, als Besatzer. Napalm und so weiter. Ein Aufatmen ging durchs Land. Jedermann konnte reden wie die “Deutsche National- und Soldatenzeitung”; wer links stand, war befähigt, noch den Jargon des Engagements routinemäßig zu exekutieren. Fest steht: Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann ordinär reden, dann heißt das “Verbrecherstaat Israel”. Er kann es auf manierliche Art machen und vom “Brückenkopf des Imperialismus” sprechen, dabei so nebstbei allenfalls in bedauerndem Tonfall hinweisen auf die missverstandene Solidarität, die so ziemlich alle Juden, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, an den Zwergstaat bindet, und kann es empörend finden, daß der Pariser Baron Rothschild die Israel-Spenden der französischen Bevölkerung Frankreichs als eine Steuer einfordert. Der Antisemitismus hat es leicht allerwegen. Die emotionelle Infrastruktur ist da, und das keineswegs nur in Polen oder Ungarn. Der Antisemit “de mystifiziert” den Pionierstaat mit Wohlbehagen. Es fällt ihm ein, dass hinter dieser staatlichen Schöpfung immer schon der Kapitalismus stand in Form der jüdischen Plutokratie: Auf diese letztgenannte geht er nicht ausdrücklich ein, das wäre ein ideologischer *lapsus linguae,* jedoch – *c’est l’or juif!* – niemand wird sich täuschen über die tatsächliche Bestelltheit eines Landes, das aus einer schlechten Idee geboren, am schlechten Orte errichtet, einen oder mehrere schlechte Kriege geführt und Siege erfochten hat.
Missverständnisse sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich weiß so gut wie irgendwer und jedermann, dass Israel objektiv die unerfreuliche Rolle der Besatzungsmacht trägt. Alles zu justifizieren, was die diversen Regierungen Israels unternehmen, fällt mir nicht ein. Meine persönlichen Beziehungen zu diesem Land, von dem Thomas Mann in der Josefs-Tetralogie gesagt hat, es sei ein “Mittelmeer-Land, nicht gerade heimatlich, etwas staubig und steinig”, sind quasi null: Ich habe es niemals besucht, spreche seine Sprache nicht, seine Kultur ist mir auf geradezu schmähliche Weise fremd, seine Religion ist nicht die meine. Dennoch ist das Bestehen dieses Staatswesens mir wichtiger als irgendeines anderen. Und hiermit gelangen wir an den Punkt, wo es ein Ende hat mit jeder berichtenden oder analysierenden Objektivität und wo das Engagement keine freiwillig eingegangene Verbindlichkeit ist, sondern eine Sache der Existenz, das Wort in mancherlei Bedeutung verstanden. Über Israel, den modischen Anti-Israelismus, den altmodischen, aber stets in jegliche Mode sich wieder einschleichenden Antisemitismus spricht existentiell subjektiv, wer irgendwie “dazugehört” (“Juden, Personen, die im Sinne des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 als Juden gelten”) – und erreicht am Ende vielleicht gerade darum eine Objektivität annähernd naturrechtlichen Charakters. Denn schließlich mündet noch die geistesschlichteste – genauso wie die gründlichste und gescheiteste – Überlegung in die Erkenntnis, dass dieses Pionierland, und mag es hundertmal nach einer sich pervertierenden pseudomarxistischen Theologie im Sündenstande technischer Hochentwicklung sich befinden, unter allen Staaten dieses geopolitischen Raumes das gefährdetste ist. Sieg, Sieg und nochmals Sieg: Es droht die Katastrophe, und ihr weicht man auch nicht aus, indem man direkt in sie hineinrennt und Israel zum Teilgebiet einer palästinensischen Föderation macht.
Die arabischen Staaten, denen ich Glück und Frieden wünsche, werden den israelischen Entwicklungsvorsprung einholen, irgendeinmal. Ihr demographischer Überdruck wird das übrige tun. Es geht unter allen Umständen darum, den Staat Israel zu erhalten, so lange, bis Frieden, wirtschaftlicher und technischer Vorausgang der Araber in einen allgemeinen Gemütszustand versetzen, der ihnen die Anerkennung Israels innerhalb gesicherter Grenzen gestattet. Es geht darum. Wem? Die subjektive Verfassung, die zur geschichtlichen Objektivität werden will, hat hier ihre Dreinrede. Israels Bestand ist unerlässlich für alle Juden (“Juden, Personen, die im Sinne …” und so weiter), wo immer sie wohnen mögen. “Wird man mich zwingen, Johnson hochleben zu lassen? Ich bin bereit dazu”, rief am Vorabend des Sechs-Tage-Krieges der linksradikale französische Publizist und Sartre-Schüler Claude Lanzmann. Der wusste, was er meinte und wollte. Denn jeder Jude ist der “Katastrophen-Jude”, einem katastrophalen Schicksal ausgeliefert, ob er es erfaßt oder nicht. “Lauf, blasser Jude” schreiben die Black-Panther-Männer an die Geschäfte und Häuser jüdischer Händler in Harlem und vergessen leichten Herzens die alte Allianz, die in den USA den Juden an den Neger kettete und die noch der mieseste bürgerlich-jüdische Händler nicht verriet. Wer garantiert, dass nicht einmal eine Regierung in den Vereinigten Staaten zum großen Versöhnungsfest den Juden dem Neger zum Frass hinwirft? Wer verbürgt den einflussreichen und zum Teil reichen Juden Frankreichs, dass nicht eines Tages das Erbe der Drumont, Maurras, Xavier Vallat zu neuer Virulenz gelangt? Wer steht ein dafür, dass nicht Herrn Strauß, an die Macht gekommen, irgendwas einfällt, worauf dann auch ein gewisser Zeitungs-Tycoon sich hüten würde, weitere schnöde Spenden einer schnöde zur Annahme bereiten israelischen Regierung zu geben? Niemand garantiert nichts. Das ist keine paranoide Phantasie und ist mehr als die menschliche Grundverfassung der Gefahr. Die Vergangenheit, die allerjüngste, brennt. Und nun wird jeder Freund von der Linken mir sagen, auch ich reihte mich ein in die große Armee derer, die mit sechs Millionen (oder meinetwegen fünfen oder vieren) Ermordeter Meinungserpressung treiben. Das Risiko ist einzugehen: Es ist geringer als das andere, welches die Freunde mir proponieren, wenn sie für die Selbstaufgabe des “zionistischen” Israel plädieren. Die Forderung der praktisch-politischen Vernunft geht dahin, dass die Solidarität einer Linken, die sich nicht preisgeben will (ohne dass sie dabei das unerträgliche Schicksal der arabischen Flüchtlinge ignorieren muss), sich auf Israel zu erstrecken, ja, sich um Israel zu konzentrieren hat. Das Gebot hat für den nichtjüdischen Mann der Linken nicht die gleiche Verbindlichkeit wie für Juden, stehe dieser politisch links, mittwegs, rechts oder nirgendwo. Aus der Linken kann man austreten; das Sosein als Jude entlässt niemand, das wusste schon ein Früh-Antisemit wie Lanz-Liebenfels. Freilich hat die Linke ihre ungeschriebenen moralischen Gesetze, die sie nicht beugen darf. “Wo es Stärkere gibt, immer auf der Seite des Schwächeren”, welch unüberschreitbar wahre Trivialität! Und stärker – wer wagte Widerrede? – das sind die Araber; stärker an Zahl, stärker an Öl, stärker an Dollars, man frage doch bei der Aramco und in Kuwait nach, stärker, ganz gewiss, an Zukunftspotential. Die Linke aber ganz offensichtlich schaut wie gebannt auf die tapferen palästinensischen Partisanen, die freilich ärmer sind als die Männer Moshe Dayans. Sie sieht nicht, daß trotz Rothschild und einem wohlhabenden amerikanisch-jüdischen Mittelstand der Jude immer noch schlechter dran ist als Frantz Fanons Kolonisierter, sieht das so wenig wie das Phänomen des anti-imperialistischen jüdischen Freiheitskampfes, der gegen England ausgefochten wurde. Am Ende ist es auch nicht die Schuld der Israelis, wenn die Sowjetunion vergaß, was 1948 vor der UNO Gromyko mit schönem Vibrato vorgetragen hat: “Was den jüdischen Staat betrifft, so ist seine Existenz bereits ein Faktum, das gefalle oder nicht (…) Die Delegation der UdSSR kann sich nicht enthalten, ihr Erstaunen über die Einstellung der arabischen Staaten in der palästinensischen Frage auszudrücken. Ganz besonders sind wir überrascht zu sehen, daß diese Staaten oder zumindest einige von ihnen sich entschlossen haben, militärische Maßnahmen zu ergreifen mit dem Ziele, die nationale Befreiungsbewegung der Juden zu vernichten. Wir können die vitalen Interessen der Völker des Nahen Ostens nicht identifizieren mit den Erklärungen gewisser arabischer Politiker und arabischer Regierungen, deren Zeugen wir jetzt sind.”
So sprach, wie schon gesagt, die Sowjetunion, eine Großmacht, die Großmachtpolitik treibt und die wohl à la longue nicht absehen konnte von dem offenbaren Faktum, dass es mehr Araber gibt als Juden, mehr arabisches Öl als jüdisches, dass militärische Stützpunkte in den arabischen Staaten einen höheren strategischen Wert haben als in Israel. Die Linke im weiteren und weitesten Sinne aber, und ganz besonders die protestierende äußerste Linke, der ich mich auf weiten Stecken verbunden weiß, hat diese Großmacht-Ausflucht nicht. Sie ist, nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten, zur Einsicht verpflichtet; zur Einsicht in die tragische Schwäche des jüdischen Staates und jedes einzelnen Juden in der Diaspora, zur Einsicht in das, was hinter den Kulissen eines jüdisch-bürgerlichen Mittelstandes, hinter dem Mythos des Geld- und Gold-Juden (vom Jud Süß bis zu den kontemporären Rothschilds und ein paar jüdischen Hollywood-Größen) sich verbirgt. Die Juden manipulieren zeitweilig Kapitalien: Sie beherrschen sie niemals. Sie haben heute in Wall Street so wenig zu sagen wie einst im wilhelminischen Deutschland in der Schwerindustrie. Der Staat Israel ist heute so wenig ein Bollwerk des Kapitalismus, wie er es war, als die ersten Pioniere dort den Boden umgruben, so wenig wie die arabischen Staaten vernünftigerweise als progressiv angesehen werden können. Die Linke macht, das ist der Jammer, die Augen zu. Der Zufall spielte mir gerade einen Text von Hans Blüher zu: “Eine wirkliche Geschichte Europas dürfte nicht so geschrieben werden, wie das bisher geschah, dass nämlich ein Jude einmal hie und da anekdotenhaft vorkommt …, vielmehr müsste die Darstellung so sein, dass dauernd die geschichtliche Macht des Judentums als eines latenten und ständig mitspielenden Reiches sichtbar wird.” Der Text könnte wörtlich in einer der zahlreichen pseudointellektuellen arabischen Veröffentlichungen stehen, mit denen die Presse überschwemmt wird. Und von Blüher – aber auch von Streicher, denn allerwegen ebnet der Antisemitismus die intellektuellen Höhenunterschiede ein – könnte stammen, was der Unterrichtsminister des progressiven Staates Syrien an den Generaldirektor der UNESCO schrieb: “Der Haß, den wir unseren Kindern einprägen, ist ein heiliger Hass.” Es wäre das alles kaum der Aufnotierung wert, und der närrische Blüher könnte im Frieden des Vergessens schlafen, hätte nicht die intellektuelle Linke Westeuropas (einschließlich übrigens einiger vom Selbsthass verstümmelter Juden wie Maxim Rodinson) sich dieses Vokabulars bemächtigt und das vom Wortschatz vermittelte Normensystem angenommen. Wenn aus dem geschichtlichen Verhängnis der Juden- beziehungsweise Antisemitenfrage, zu dem durchaus auch die Stiftung des nun einmal bestehenden Staates Israel gehören mag, wiederum die Idee einer jüdischen Schuld konstruiert wird, dann trägt hierfür die Verantwortung eine Linke, die sich selber vergißt. “Der Antizionismus ist ein von Grund auf reaktionäres Phänomen, das von den revolutionären progressistischen antikolonialistischen Phrasen über Israel verschleiert wird”, sagte neulich Robert Misrahi, ein französischer Philosoph, der, gleich dem vorhin zitierten Claude Lanzmann, zur weiteren Sartre-Familie gehört. Der Augenblick einer Revision und neuen geistigen Selbstbestreitung der Linken ist gekommen; denn sie ist es, die dem Antisemitismus eine ehrlose dialektische Ehrbarkeit zurückgibt. Die Allianz des antisemitischen Spießer-Stammtisches mit den Barrikaden ist wider die Natur, Sünde wider den Geist, um in der vom Thema erzwungenen Terminologie zu bleiben. Leute wie der polnische General Moczar können sich die Umfälschung des kruden Antisemitismus zum aktuellen Anti-Israelismus gestatten: Die Linke muss redlicher sein. Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus. Wie sagte Sartre vor Jahr und Tag in seinen “Überlegungen zur Judenfrage”: “Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.”
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