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Slánský, Stalin und der linke Antisemitismus

Für jemanden, der nicht an religiöse Aussagen glaubt, stellen sich unter anderem folgende Fragen: Warum bestehen seit hunderten von Jahren Vorurteile gegenüber Juden? Warum ist Israel der „Sündenbock“, dem man die meisten Fehler und damit die Verantwortlichkeit für den Nahostkonflikt zuschiebt? Warum gibt es in der Beurteilung zwischen Israel und seinen Nachbarn keine Äquivalenz? Warum wird, auch von vielen „Linken“, von einer demokratisch gewählten Regierung Israels verlangt, dass sie einen nicht provozierten Raketenkrieg gegen die eigene Zivilbevölkerung hinnehmen soll? Warum gehört der Antizionismus innerhalb der Linken wie das Kreuz zur Kirche? Vielleicht ist die Wurzel, zumindest für die Israelgegnerschaft, in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in den osteuropäischen Ländern zu suchen.

Die stalinistischen „Säuberungen“ und Schauprozesse in den 30er Jahren besaßen bereits antisemitische Züge. Der traditionelle russische Antisemitismus wurde von Stalin für seine innenpolitische Machtpolitik funktionalisiert. Den Auftakt für die antijüdische „Säuberungen“ nach dem 2. Weltkrieg bildete die Ermordung des großen jüdischen Schauspielers Shlomo Michoels durch Stalins Geheimpolizei im Januar 1948. Michoels war Vorsitzender des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAFK). Im November 1949 wurde das JAFK verboten. Am 12.8.1952 wurde auf Befehl Stalins die Elite der jiddischen sowjetischen Schriftsteller, darunter die weltberühmten Dichter Perez Markisch, ltzik Fejfer und David Bergelson hingerichtet. Laut Arno Lustiger ein einzigartig schrecklicher Vorgang in der Weltliteratur. Einen vorläufigen Höhepunkt der antisemitischen Hasskampagne markierte das sogenannte „Ärztekomplott“ von Anfang 1953. Am 13. Januar 1953 wurden die angesehensten sowjetischen Ärzte, fast alle waren Juden, angeklagt Mordpläne gegen Stalin geschmiedet zu haben und sich mit „zionistischen Spionen“ verbündet zu haben. Sowjetische Juden wurden entlassen, verhaftet oder hingerichtet. Ein landesweites Pogrom gegen die Juden und die geplanten Massendeportation der russischen Juden nach Sibirien verhinderte einzig und allein der Tod Stalins.

1948 unterstützte die Sowjetunion die Gründung des Staates Israel. Ein Grund für diesen Kurswechsel war auch die damit verbundene Schwächung von Großbritannien in der Region. Angesichts des militärischen Angriffs 1948 der umliegenden arabischen Staaten, war für Israel die einzige Quelle für Waffenlieferungen die im Einflussbereich der Sowjetunion stehende Tschechoslowakei. Die CSSR lieferte unter dem KP Generalsekretär Slánský auf russischen Wunsch Waffen und Munition für Israel. Wegen dieser Waffengeschäfte und eines angeblichen Putschversuches wurde der jüdische Teil der tschechoslowakischen KP-Führung vier Jahre später der prozionistischen Agententätigkeit angeklagt. Wie in der Sowjetunion unter Stalin wurde ab 1950 in der CSSR der Antisemitismus als Kampf gegen „Kosmopoliten“ und als Kampf gegen den „Zionismus“ verkleidet.

Am 23. November 1951 wurden Rudolf Slánský und seine überwiegend jüdischen Mitangeklagten des Hochverrats, ganz im Sinne des alten Verschwörungsmythos angeklagt. Die moskauhörige tschechische Presse berichtete unentwegt, dass Slánský eigentlich Rudolf Salzmann hieß, und dass er wie zehn der übrigen Angeklagten jüdischer Abstammung war.In den Akten standen neben den Namen der Angeklagten die Worte „jüdischer Abstammung.“ Wenn Namen nicht jüdisch klangen wurden in den Akten und im Urteil die ursprünglichen Namen angeführt, also „Slánský, alias Salzmann“, „Ludvik Frejka, alias Ludwig Freund“, „Andre Simone, alias Otto Katz“ usw. Major Smolá, ein berüchtigter Antisemit und Bewunderer Hitlers war der Chefankläger im Schauprozess gegen Slánský. Der ehemalige stellvertretende tschechoslowakische Außenminister, damals selbst jüdischer Mitangeklagter, Arthur London, schreibt in seinem Buch: „Ich gestehe“ über die Methoden des Staatsanwalts Smolá:  „Er packte mich an der Gurgel und brüllte: Sie und Ihre dreckige Rasse, wir werden sie schon noch ausrotten. Nicht alles, was Hitler getan hat, war richtig, aber er hat die Juden vernichtet, und das war gut! Es sind noch viel zu viele von euch der Gaskammer entkommen.“

Rudolf Slánský wurde am 3. Dezember 1952 zusammen mit zehn weiteren fast ausschließlich jüdischen Mitangeklagten zum Tod verurteilt und durch Erhängen hingerichtet.

Ab 1950 brach die antijüdische Hysterie auch in der DDR aus. Im „Neuen Deutschland“ wird am 30. November 1952 vom großen Prozess gegen den Juden Rudolf Slánský und 13 jüdischen Mitangeklagten berichtet. Geständnisse und Urteile wurden seitenlag dokumentiert. Am zweiten Verhandlungstag gestand, laut „ND“, der Angeklagte Bedrich Geminder, dass er dem deutschen Trotzkisten Paul Bender Spionagematerial geliefert habe. Paul Merker habe im Dienste des Imperialismus und Zionismus Propaganda betrieben. Im Leitartikel stand: „Die Vernichtung der Slánský -Bande – ein Sieg der Friedenskräfte.“ Im Zuge des Slánský Prozesses lehnte die SED jegliche Wiedergutmachung an Israel mit der Begründung ab, diese würde allein „israelischen Großkapitalisten“ und „zionistischen“ Monopolkapitalisten zu Gute kommen. Der Historiker Thomas Haury schreibt in seinem Buch „Antisemitismus von links“: „Nach den Berichten über den Slánský -Prozess und der Veröffentlichung der ‚Lehren‘ trugen weitere Artikel im Neuen Deut­sch­land zur Schaffung eines antisemitisch-anti­zio­nist­ischen Klimas bei: Die ‚Lehren‘ wurden kommentiert, die ‚Entlarvung‘ der ‚Ärzteverschwörung‘ im Kreml wurde bekanntgegeben und es wurde über zionistische Agenten in Jüdischen Gemeinden und der VVN berichtet; Artikel mit Überschriften: ‚Den Zionismus entschieden bekämpfen!‘ erklärten den Staat Israel zur ‚zionistischen Agentur des amerikanischen Imperialismus.‘“

Der „Nichtjude“ Paul Merker, wurde als Zionist aus seinen Ämtern entlassen und er sollte der „deutsche Slánský“ werden.  1952 befahl die Sowjetunion der DDR alle Juden zu registrieren. Durch die Säuberungswelle verlor die DDR mehr als die Hälfte ihrer staatstreuen jüdischen Bürger. Zugleich wurde tausenden von ehemaligen Nazis und Wehrmachtsoffizieren per Gesetz im Oktober 1952 ihre volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung in der DDR garantiert, wodurch sie im Staatsdienst eingesetzt werden konnten. Neben Paul Merker wurden viele weitere „jüdische“ Genossen verhaftet, wie beispielsweise Leo Bauer, Chefredakteur des Deutschlandsenders, Bruno Goldhammer, Intendant des Berliner Rundfunks, Staatssekretär Paul Baender, der erste Vorsitzende der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“ Jürgen Kuczynsky der Generalsekretär des DDR Kulturbundes Alexander Abusch, Gerhard Eisler und viele andere Kommunisten jüdischer Abstammung wurden aus ihren Funktionen entlassen. Am 4. Januar 1953 schrieb das ND: „Unter jüdisch-nationalistischer Flagge segelnd, getarnt als zionistische Organisation und als Diplomaten der amerikanischen Vasallenregierung Israels, verrichten diese amerikanischen Agenten ihr Handwerk.“

Auch später, in der Breshnew-Zeit kam es zu einer ungeheuren Verschärfung des Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus. Von 1967 bis 1980 erschien allein in der sowjetischen Presse 1700 antizionistische Karikaturen, deren Stil von den „Stürmer“ Karikaturen inspiriert gewesen zu sein scheint (vgl. Arno Lustiger Rotbuch: Stalin und die Juden, Aufbau Verlag 1998). Thomas Haury schreibt in „Antisemitismus von links – Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der früheren DDR“: „Der nationalistische Wunsch nach einem ‚guten deutschen Volk‘ zeigt sich gerade auch in den Versuchen eine Verkehrung von Täter und Opfer, in denen deutsche Kommunisten eine jüdische Mitschuld am Faschismus behaupteten und zugleich das ‚deutsche Volk‘ als Opfer zeichneten – in der Vergangenheit als Opfer des Hitlerregimes und in der Gegenwart als Opfer ‚jüdischer‘ Geldforderungen sowie ‚imperialistisch-zio­ni­st­i­sch­er‘ Unterwanderung. Durch das spezifisch ‚deutsche‘ Thema Wiedergutmachung sowie der Täter-Opfer Verkehrung zur Entlastung des ‚deutschen Volkes‘ erweist sich der Antizionismus in der DDR als ein von deutschem Nationalismus und seinen Begründungsschwierigkeiten nach 1945 gespeister und geprägter, antizionistisch verkleideter ‚sekundärer Antisemitismus.‘

Seit 1949 lebte Bert Brecht in der DDR. Viele seiner Freundinnen und Freunde, wie beispielsweise Therese Giehse, Helene Weigel, Hanns Eisler, Carola Neher waren jüdischer Herkunft. Bertolt Brecht war bestürzt über die antisemitischen Morde und Verfolgungen in „seinem“ sozialistischen System. Die jüdische Schauspielerin Carola Neher, die er 1922 in München kennen lernte, ging mit ihrem Mann, dem deutschen Kommunisten Anatol Becker, 1932 in die Sowjetunion. Becker wird während der Stalin`schen Säuberungen 1937 hingerichtet, Neher als angebliche trotzkistische Spionin zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Brecht setzte sich erfolglos für Neher ein. Der ebenfalls emigrierte deutsche Schauspieler Hermann Greid berichtet, die Nachricht von der Verurteilung Nehers habe bei Brecht einen Wutausbruch über den „schändlichen und schamlosen Henkersknecht Stalin“ ausgelöst. Neher stirbt 1942 in einem Straflager an Typhus. Brecht versucht zuletzt 1952 über die Ost-Berliner Sowjetbotschaft Auskunft über das Schicksal Nehers zu erhalten. Bertolt Brecht verarbeitet in den „Buckower Elegien“ den 17. Juni 1953 und die damit verbundenen stalinistischen „Fehlentwicklungen“ im sozialistischen System. In seinem Brief an Peter Suhrkamp vom 1. Juli 1953 schreibt Brecht: „In der Provinz wurde ‚befreit‘. Aber als die Gefängnisse gestürmt wurden, kamen merkwürdige Gefangene aus diesen ‚Bastillen‘, in Halle die ehemalige Kommandeuse des Ravensbrücker Konzentrationslagers, Erna Dorn. Sie hielt anfeuernde Reden auf dem Marktplatz. An manchen Orten gab es Überfälle auf Juden, nicht viele, da es nicht mehr viele Juden gibt.“

Die SED präsentierte sich zu der Zeit als „Vortrupp des deutschen Volkes“ im nationalen Befreiungskampf gegen „imperialistische Okkupation“  und gegen die „Dollarzinsknechtschaft.“ Der „amerikanischen Unkultur“ setzte die SED die „deutsche Kultur“ entgegen und die „volksverbundene Kunst“ stand im Klassenkampf der SED über dem „wurzellosen Kosmopolitismus.“ Antisemitismus, Antiimperialismus und kommunistischem Nationalismus waren der Hauptbestandteil der Anti-Kosmopolitismus-Kampagnen dieser Zeit. Für den kommunistischen Nationalismus der SED waren die Juden der perfekte Feind, denn alle Juden galten des Zionismus verdächtig. Die DDR-Führung halluzinierte eine jüdische Mitschuld am Faschismus und das „deutsche Volk“ wurde als Opfer gezeichnet. Die Schuld und die Täterschaft der deutschen Bevölkerung an den Verbrechen Nazideutschlands wurden demgemäß in der DDR der 1950er Jahre so gut wie nicht thematisiert. Der spätstalinistische DDR-Antizionismus war daher eine eindeutige Form des „Antisemitismus nach Auschwitz. “

Die grundsätzliche und meist kritiklose Übernahme des damaligen sowjetischen Antizionismus lebt fraglos noch heute innerhalb gewisser Teile der Linken weiter. Auch die Spaltungen der Linken in Trotzkisten, orthodoxe Kommunisten, Stalinisten, „Querfrontler“, Friedensforscher, Maoisten, Anhänger von nationalen Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“ und anderen, haben keine Änderung dieser „antizionistischen“ Konstante bewirkt. Im Jahre 2010 beteiligten sich beispielshalber die Linksparteimitglieder Annette Groth, Inge Höger und Norman Paech an der israelfeindlichen „Hilfsaktion“ an Bord der „Mavi Marmara“,   die von der radikal-islamistischen Organisation IHH organisiert und finanziert wurde. Beim Ablegen in Istanbul skandierten die Passagiere des Friedensschiffes“ Parolen der Hamas, Loblieder auf das islamische Märtyrertum und „Tod allen Juden.“

Mit dem Zionismus und der Gründung des Staates Israel erhielten Juden erstmals einen sicheren Rückzugsort und die Möglichkeit sich zu verteidigen. Der Antizionismus negiert dieses Recht und zielt faktisch auf die Vernichtung des Judenstaates. Der heutige Antizionismus ging in vor allem aus dem kommunistischen Herrschaftssystem mit seinem Nationalismus und seiner Feindkonstruktion  hervor. Dieser Antizionismus, also der Antisemitismus von links, kann nur aus den eigenen Reihen effektiv bekämpft und kritisiert werden. Antizionisten müssen erkennen, dass es keinen „ehrbaren“ Antisemitismus geben kann.

Überabeiteter Beitrag von Manfred Breitenberger aus: Slánský, Stalin und der linke Antisemitismus (fidelchescosmos)

16 Kommentare leave one →
  1. 13. März 2012 16:05

    (…) Denn unbestreitbar waren die Kommunisten die entschiedensten, oft genug auch die einzigen Kämpfer gegen die braune Pest, während die Sozialdemokraten kapituliert hatten und die bürgerlichen Parteien sogar mit Hitler paktierten. Doch der Nazi-Antisemitismus entzog sich marxistisch-leninistischen Kategorien. Die auch von jüdischen Genossen lange vertretene Parteilinie, wonach der Judenhaß ein Ablenkungsmanöver vom Klassenkampf sei und sich nur gegen das jüdische Proletariat richte, während die jüdische Bourgeoisie ihrem Klasseninteresse gemäß mit dem Faschismus paktiere, war offensichtlich falsch. Juden wurden von den Nazis als Juden verfolgt und ermordet, unabhängig von Partei- oder Klassenzugehörigkeit. Die Shoa konfrontierte viele Kommunisten wieder mit ihrer verleugneten jüdischen Identität.

    So war es keineswegs ungewöhnlich, daß nach ihrer Rückkehr in die Heimat viele KPD- beziehungsweise SED-Mitglieder jüdischer Herkunft wie selbstverständlich den örtlichen Jüdischen Gemeinden beitraten. Julius Meyer beispielsweise war Vorstandsmitglied der Berliner Gemeinde und SED-Abgeordneter in der Volkskammer. Doch der versuchte Spagat zwischen jüdischer und kommunistischer Identität ging nicht lange gut. Hartewig beschreibt die Bruchstellen, die in der SBZ, später DDR, jüdische Genossen in – zumindest inneren – Konflikt mit der Partei brachten. Die erste dieser Bruchstellen war die schon in der Emigration kontrovers diskutierte Frage der Restitution des von den Nazis geraubten jüdischen Eigentums. Eine großzügige volle materielle und moralische Wiedergutmachung, wie sie vor allem das (nichtjüdische) Politbüromitglied Paul Merker forderte, kam nicht zustande. Die Mehrheit in der Partei, unterstützt von der sowjetischen Besatzungsmacht, lehnte dies ab: Man dürfe Kapitalisten, auch wenn sie als Juden verfolgt worden waren, nicht wieder die Mittel zur Ausbeutung der Arbeiter in die Hand geben, hieß es. Hinter dieser »klassenmäßigen« Argumentation verbargen sich allerdings andere Motive. Zum einen hatte die SBZ/DDR schlicht nicht das Geld, um umfassende Wiedergutmachung zu leisten. Zum zweiten nahm die SED Rücksicht auf den noch immer starken Antisemitismus in der Bevölkerung. Das paßte zur Parteilinie, die vom anklagenden Antifaschismus der unmittelbaren Nachkriegszeit bald auf Versöhnung mit den »kleinen Nazis« umgeschwenkt war. Bereits 1948 forderte Walter Ulbricht einen »Schlußstrich« unter die Vergangenheitsbewältigung in der SBZ. Denn der Feind war jetzt nicht mehr Hitler, sondern der »US-Imperialismus« – und dessen angeblicher Verbündeter, der »wurzellose Kosmopolitismus« alias »Zionismus« alias »Weltjudentum«.

    Die antisemitische Kampagne in den Ostblockstaaten Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre – Stichworte Slansky-Prozeß in Prag und »jüdische Ärzteverschwörung« in Moskau – markierte die zweite Bruchlinie im Selbstverständnis der jüdischen Kommunisten. Jetzt standen sie als Juden in der Schußlinie der eigenen Genossen, auch wenn sie geglaubt hatten, das Jüdische mit dem Eintritt in die Partei hinter sich gelassen zu haben. Anders als in der Tschechoslowakei, Rumänien und der UdSSR, kam es in der DDR zwar nicht zu großen »antizionistischen« Schauprozessen und Todesurteilen (was vor allem daran lag, daß Ostberlin fürchtete, so kurz nach 1945 peinliche Assoziationen zu wecken und damit den feindlichen Brüdern in Bonn Propagandamunition in die Hand zu geben); aber führende jüdische Parteifunktionäre wie Erich Jungmann, Bruno Goldhammer und Leo Bauer wanderten ins Gefängnis, bei anderen, wie dem Kulturpolitiker Alexander Abusch und dem Ökonomen Jürgen Kusczinski, knickte die Karriere. Und Hunderte von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinden in der DDR, darunter fast alle Vorstände, verließen fluchtartig das Land.
    Mit dem Tod Stalins im März 1953 endete die antisemitische Kampagne im Ostblock. Der Druck auf die jüdischen Kader ließ spürbar nach. Etwaige Erschütterungen der Parteitreue »heilte« dann drei Monate später der 17. Juni. Der Volksaufstand in der DDR weckte bei vielen – auch parteikritischen und nichtkommunistischen – Juden spontane Ängste und Erinnerungen an Pogrome und Naziaufmärsche. Das führte zu einer neuen Verbundenheit mit Partei und Staat, die als Schutzmacht vor den unberechenbaren »Volksmassen« erlebt wurden. Diese mehr affektive denn reflektierte Solidarisierung sollte sich auch in zukünftigen Krisen dafür sorgen, daß die jüdischen Kommunisten der SED verbunden blieben. Die »Loyalität der Stigmatisierten« (Hartewig) hatte aber ihren tieferen und eigentlichen Grund im einzigartigen Charakter der DDR. Anders als die übrigen Ostblockländer war sie ja nicht nur die realsozialistische Fortsetzung eines schon vorher existierenden nationalen oder ethnischen Gebildes. Die DDR als Produkt der deutschen Teilung war ein nichtnationaler Staat, definiert durch Ideologie und Klasse, nicht Volkstum. Das machte sie zum perfekten historischen Ort der »roten Assimilation«. Das Scheitern des Projekts DDR bedeutete denn auch das Ende einer Traditionslinie deutsch-jüdischer Geschichte. All das arbeitet Karin Hartewig in ihrer Studie exzellent heraus, die im übrigen mehr ist als nur, wie im Untertitel angegeben, Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Die biographischen Skizzen, die Kapitel über die Jüdischen Gemeinden in der DDR, über die Gedenkpolitik der SED, die Wandlungen des parteioffiziellen Antifaschismus etc. machen dieses Buch zu einem wichtigen Beitrag in der Erforschung der deutschen, der jüdischen und der Geschichte der Arbeiterbewegung generell.

    aus der Konkret-Rezension von Michael Wuliger, Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR

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  2. Arthur Lend permalink
    14. März 2012 10:42

    An den Mühlen des stalinistischen antizionistischen Slansky-Prozesses ist Antisemitismus von links gut erkennbar. Slánsky und seine Mitangeklagten bekannten sich schuldig. Elf von den vierzehn waren Juden und bis auf drei wurden alle zum Tode verurteilt und im Morgengrauen des 2. Dezember 1952 gehängt.

    Über zehn Jahre danach, am 14. Mai 1963 gab der Oberste Gerichtshof der Tschechoslowakei bekannt, dass es diese Verschwörung nie gegeben hatte und dass die Geständnisse durch Anwendung physischer Gewalt erpresst worden waren. Die „Slánsky-Verschwörung“ und sieben weitere Schauprozesse, in denen mehr als sechzig prominente Politiker und Funktionäre hat es nie gegeben. Der Antizionismus war Antisemitismus, damals wie heute!

    Danke für den wichtigen Text. Ich habe ihr Blog in meine Favoriten eingefügt.

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    • 14. März 2012 12:49

      Vielen Dank.

      Ich stimme Ihnen zu, Antisemitismus und Antizionismus sind zwei Seiten derselben Medaille.

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  3. Josef Pischek permalink
    5. April 2012 17:04

    In der Albert Nordens Biografie (von Nordert Podewin) sind viele Ungeheuerlichkeiten der antizionistischen Verfolgung in der CSR beschrieben. Nordons bester Freund und Genosse Otto Katz wurde im Schauprozess gegen Rudolf Slánský mit weiteren elf weiteren „jüdischen“ Parteimitgliedern in der CSR mitangeklagt und am 3. Dezember 1952 erhängt. Podewin schreibt: „An diesem Tag zerbrach bei Albert Norden innerlich etwas, was fortan zeitlebens irreparabel blieb: der Glaube an die moralische Unbeflecktheit des sozialistisch-kommunistischen Ideals. Darin war der lebenslange Selbstvorwurf eingeschlossen, angesichts der Ungeheuerlichkeit in eigener Sache geschwiegen, statt die Wahrheit befreiend herausgeschrien zu haben.“

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  4. 7. September 2012 14:03

    Ein Klasse-Artikel zur Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees der Sowjetunion von Erich Später ist in der aktuellen Konkret 9/2012 aus der Serie „Der dritte Weltkrieg“ Teil 10 zu lesen, daraus ein Auszug:

    (….) Endgültig konstituierte sich das JAK daher erst am 23. April 1942. Damit verfügte die jüdische Bevölkerung seit vielen Jahren wieder über eine offizielle Vertretung. Dem Komitee gehörten 7o Mitglieder an, die ein Präsidium, bestehend aus 19 Personen, wählten. Vorsitzender wurde der Direktor des Jüdischen Theaters Moskau, Salomon Michoels, der das Komitee bis zu seiner Ermordung im Januar 1948 leitete. Neben bekannten Schriftstellern wie Ilja Ehrenburg und Wassili Grossman waren zahlreiche Wissenschaftler, Ärzte, Militärs und Parteifunktionäre Mitglieder des JAK. Sie repräsentierten die kulturelle, wissenschaftliche und politische Führungschicht der sowjetischen Juden. Als offizielles Sprachrohr des JAK wurde im Juni 1942 die in jiddischer Sprache erscheinende Zeitschrift »Ejnikajt« gegründet. Sie erschien ab Juli 1943 wöchentlich und hatte eine Auflage von 10.000 Exemplaren. Sie wurde zur Schaltstelle zwischen den Juden im Hinterland und an der Front. Die Autoren der Zeitschrift berichteten über den stattfindenden Genozid und den Widerstand der Juden im ganzen besetzten Europa. Im Verlauf des Krieges wurde das JAK zum politischen und kulturellen Zentrum der sowjetischen Juden, auch wenn es weder über festangestellte Mitarbeiter noch über Zweigstellen außerhalb Moskaus verfügte.

    Die internationalen Anstrengungen des JAK zur Unterstützung der sowjetischen Bevölkerung und der Roten Armee waren sehr erfolgreich. Vor dem deutschen Überfall war das Ansehen der Sowjetunion wegen des Nichtangriffsvertrags mit Nazi-Deutschland in der jüdischen Welt auf einen Tiefpunkt gesunken. Mit dem Beginn des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion wurde schnell klar, daß eine Niederlage der Roten Armee die Auslöschung eines großen Teils der Juden zur Folge haben würde. Allein in den USA entstanden daher in den Kriegsjahren über 2.230 regionale Hilfskomitees, die sich im »Jüdischen Rat der Komitees zur Unterstützung der Sowjetunion« zusammenschlossen. Den Vorsitz führte der Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein zusammen mit dem jiddischen Schriftsteller Schalom Asch. Im Sommer 1943 kam es während der Amerika-Reise der JAK-Führungsmitglieder Michoels und Fefer zu überwältigenden Kundgebungen der Solidarität mit der Sowjetunion.
    Eine halbe Million Menschen besuchte die Massenversammlungen in 46 Städten der USA. Die größte fand am B. Juli 1943 in New York statt. Mehr als 50.000 Menschen, darunter die politische und intellektuelle Elite New Yorks mit Bürgermeister La Guardia an der Spitze, nahmen an der größten prosowjetischen Kundgebung in der Geschichte der USA teil.
    Ein Brief von Einstein und Asch informiert über die Reaktionen der amerikanischen Öf-fentlichkeit: Der Empfang, der den Delegierten Professor Slojme Michoels und Icih Fefer erwiesen wurde, ist hinsichtlich der Zahl der Juden, die anwesend waren, beispiellos. Zehntausende von Juden aus allen Gesellschaftsschichten und Anhänger aller politischen Richtungen verkündeten ihren Enthusiasmus für die Sowjetunion; ebenso äußerten sie den Wusch, engere Beziehungen zwischen den sowjetischen und amerikanischen Juden mit dem Zweck der Hilfeleistung herzustellen, um den Sieg in diesem Krieg zu erringen und gemeinsam die jüdische Kultur aufzubauen.

    Nicht nur in den USA, sondern in allen wichtigen außereuropäischen jüdischen Zentren – in Großbritannien, Kanada, Australien und vielen Ländern Lateinamerikas – entstanden Komitees für Solidarität mit der Sowjetunion. Führende zionistische Politiker wie Nahum Goldmann, Chaim Weizmann und David Ben-Gurion, die meist aus Rußland stammten, riefen die Juden angesichts der tödlichen Bedrohung zur aktiven Unterstützung der Sowjetunion auf. (…)

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  5. mike permalink
    9. November 2014 23:26

    Stalin war später ebenso judenfeindlich wie Hitler. Er gab ihm sogar in „vielen Punkten“ Recht.

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    • 11. November 2014 12:54

      Stimmt, Stalin nutzte den vorhandenen Antisemitismus der russischen Bevölkerung für seine politischen Zwecke.

      Gleichzusetzen ist Stalins Antisemitismus mit dem Hitlers freilich nicht. In der Sowjetunion gab es keine fabrikmäßige Vernichtung von Juden.

      Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Stalins Rote Armee Auschwitz und Europa von den Nazis befreite.

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  6. 7. Februar 2017 10:32

    In der Welt war dieser Tage ein guter Artikel über die von mir in diesem Artikel beschriebenen Carola Neher:

    Zunächst geht ihr Leben in der Sowjetunion normal weiter. Carola Neher bekommt einen Sohn, was die Propaganda, etwas verspätet, feiert. Am 2. Februar 1936 veröffentlicht die „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ ein Foto von Mutter und dem inzwischen einjährigen Sohn. „Carola Neher, die bekannte deutsche Schauspielerin, wurde Mutter eines kleinen Sowjetbürgers“, steht darunter. Anschließend wird Neher zitiert: „Ich hatte seit langem den Wunsch, ein Kind zu haben, aber drüben hatte ich nicht den Mut dazu, erst in der UdSSR konnte ich den Wunsch in Erfüllung gehen sehen.“ (..)

    Am 12. Mai 1936 – Stalin beginnt gerade mit der Inszenierung seiner großen Säuberungen – wird ihr Mann Anatol Becker wegen angeblich trotzkistischer Umtriebe verhaftet. Wenige Wochen später sitzt auch Carola Neher in Haft.

    Ausgerechnet Gustav von Wangenheim, von dem sie sich berufliche Hilfe erhoffte, denunziert sie und ihren Mann indirekt beim sowjetischen Geheimdienst, nicht ohne anbiedernd zu klagen, wie schwer es sei, bei aller Wachsamkeit „ein trotzkistisch verseuchtes Element vorher zu entdecken“. Carola Neher sei ein sehr ernster Fall, ist in Wangenheims Protokoll zu lesen. Es sei eine Tatsache, dass sie mit Wollenberg verkehrt habe, er selbst habe sie 1934 in Prag zusammen gesehen. Sie habe Leute für ihn geworben. Sein vernichtendes Fazit: „Ich halte Carola Neher für eine Abenteuerin. … Neher ist antisowjetisch eingestellt.“

    Nach einem kurzen Prozess, in dem Neher zugibt, Briefe Wollenbergs mitgenommen zu haben, wird sie zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Anatol Becker wird 1937 erschossen. Ihren Sohn stecken die Behörden in ein Waisenheim. (..)

    1941 werden Carola Neher und die anderen Frauen in ein Lager des Gulag Sol-Ilezk südlich des Ural verlegt, wo 50 bis 60 Häftlinge in einer Zelle hausen müssen. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Die Frauen lassen sich wegen der vielen Läuse die Haare kahl scheren, Neher sticht noch immer heraus. „Gott, sah sie schön aus“, erinnert sich Margarete Buber-Neumann.

    Doch den Typhus, der grassiert, kann sie nicht abwehren. Neher bekommt hohes Fieber und wird in eine Zelle gebracht, wo die besonders schweren Fälle liegen. Von dort kehrt sie nicht mehr zurück. Carola Neher stirbt am 26. Juni 1942. Das Letzte, worum sie die Mitinsassinnen bittet, ist, sich um ihren Sohn zu kümmern. Falls sie frei kämen, sollten sie sich an zwei Bekannte von ihr wenden: den Schauspieler Ernst Busch und den Autor Gottfried Benn, der eng mit Klabund befreundet war.

    Bertolt Brecht nennt sie nicht. Dabei hat sie sich 1939 in einem Brief an den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Wjatscheslaw Molotow darüber beklagt, dass man ihr verweigere, an die Familie in Deutschland und auch an Brecht im dänischen Exil zu schreiben. Ihm traute sie offenbar. Brecht wiederum wusste um ihr Schicksal, er widmete ihr 1937 eigens ein Gedicht. Ansonsten herrschte bei Brecht, wie Reinhard Müller schreibt, „gesammeltes Schweigen“.

    Als Hilda Duty nach Deutschland zurückkehrt, ist Gottfried Benn bereits tot. Aber sie sucht in Berlin Ernst Busch auf und bittet ihn um Mithilfe bei der Suche nach Georg. Duty erwartet, dass Busch sofort aufspringt und telefoniert. Doch der hat kaum Lust, überhaupt zuzuhören, erinnert sie sich. Schließlich habe er sich wenigstens bereit erklärt, mit Brecht-Witwe Helene Weigel zu sprechen. Die hätte mehr Einfluss. Ob er das je getan hat, hat Hilda Duty nie erfahren.

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