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Mursis Sturz und die deutsche Trauer über eine Niederlage des Islamismus

21. August 2013

mursiNach dem Sturz der islamistischen Regierung in Ägypten verurteilt in der „Jungen Welt“ eine „Antiimperialistische Koordination“  die „blutige Unterdrückung der Muslimbrüder“.  In Jakob Augsteins „Freitag“ schreibt Lutz Herden unglücklich und entrüstet vom „Einbruch des Arabischen Winters“ und Ulrike Putz befürchtet einen Rechtsruck in Ägypten, sie bedauert im „Spiegel“ die Entmachtung ihrer „revolutionären“ Idole.  In einem ideologischen Schulterschluss mit diesen „Nahostexperten“ meinte der deutsche Außenminister Westerwelle zu Mursis Absetzung: „Das ist ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Ägypten. Es ist dringlich, dass Ägypten schnellstmöglich zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehrt. Es ist ein schwerwiegender Vorgang, dass die ägyptischen Streitkräfte die verfassungsmäßige Ordnung ausgesetzt und den Präsidenten seiner Amtsbefugnisse enthoben haben. Das besorgt mich tief. Eine solche Aussetzung der demokratischen Ordnung ist keine nachhaltige Lösung der großen Probleme, vor denen Ägypten steht.“

Am Abend des 3. Juli 2013 setzte  Generaloberst und Verteidigungsminister Abd al-Fattah as-Sisi die ägyptische Regierung der Muslimbruderschaft unter Mohammed Mursi ab. Nach Massenprotesten der hungernden Bevölkerung gab es, nicht zum ersten Male, jedoch alternativlos einen Militärputsch in Ägypten. Mursi und der Chef der Muslimbrüder Mohammed Badia wurden festgenommen, beiden droht ein Prozess und ein erneutes Verbot der Muslimbrüder steht zur Diskussion. Abd al-Fattah as-Sisi, der als sehr religiös gilt, seine Frau trägt die  volle Gesichtsverschleierung, wurde von Mursi (vermeintlich das Militär entmachtend) im August des letzten Jahres ins Amt berufen.

Die von Hasan al-Banna (1906-1949) 1928 gegründete Muslimbruderschaft ist der Innbegriff des  islamistischen Fundamentalismus und seit seiner Gründung eine extrem antijüdische Bewegung, was viele Lohnschreiber in den deutschen Medien und so manche Politiker nur allzu gerne übersehen. So gaben die antisemitischen Aussagen  des Muslimbruders Mursi in denen er  die „Zionisten“ als „Blutsauger“, als „Kriegstreiber die Palästinenser angreifen“, als „Nachkommen von Affen und Schweinen“ beschreibt, den einschlägigen deutschen Journalisten keinerlei Anlass zur Kritik.

Ähnlich wie im Iran kündigten die Muslimbrüder die Einrichtung eines Rates von hohen Geistlichen an, der die Gesetzgebung überwachen sollte. Mit seinen  berüchtigten Dekreten hob Mursi die Gewaltenteilung auf. Mursi ließ kurz nach der Wahl neben der exekutiven auch die gesamte legislative Macht vom Militärrat auf sich selbst übertragen. Ende 2012 setzte er die Judikative außer Kraft und ermächtige sich selbst, jedes Gerichtsurteil blockieren zu dürfen und gleichzeitig verbot er den Richtern, die von ihm erlassenen Dekrete anzufechten. Die von den Muslimbrüdern verabschiedete schariakonforme Verfassungsreform machte Frauen und Menschen nicht islamischer Religionen zu Menschen zweiter Klasse. Nach der reformierten Verfassung dürften beispielsweise Kopten kein Alkohol trinken, waren Frauen nur halb so viel wert wie Männer und galten die wenigen Schiiten Ägyptens als vom Glauben Abgefallene, die den Tod verdienten. Im März 2013 legten die Muslimbrüder Einspruch gegen eine UN-Resolution ein, in der Gewalt gegen Frauen verurteilt wird, denn laut Muslimbrüder müsse die Möglichkeit einer Ehefrau, zu verreisen, zu arbeiten oder ein Verhütungsmittel anzuwenden von der Zustimmung des Ehemannes abhängig sein und Töchter hatten laut der ägyptischen Verfassung nicht dieselben Erbrechte wie Söhne. In der mittlerweile außer Kraft gesetzten Mursi-Verfassung wurde „auch die  „Beleidigung“ oder der „Missbrauch“ aller „religiöser Botschaften und Propheten“ unter Strafe gestellt, wobei allerdings beispielsweise ein Atheist bereits zuvor wegen kritischer Stellungnahmen über den Islam und das Christentum zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden konnte.

Wegen der rapide steigenden Arbeitslosigkeit, der ständig größer werdende Anzahl von hungernden Menschen, des immer größer werdendes Außenhandelsdefizits und den offensichtlichen Vorbereitungen zu einem Gottesstaat kam es zu Massendemonstrationen gegen die islamistische Regierung Ägyptens. Mit seinen Scharia-Dekreten hat Mursi den Bogen überspannt, zu offensichtlich war die Vorbereitung für einen kommenden Notstand. Die Währungsreserven waren innerhalb eines Jahres von über 30 Milliarden auf 14 Milliarden Dollar gesunken. Wegen dem jährlichen Außenhandelsdefizit von 36 Milliarden Dollar war leicht auszurechnen, dass Mitte 2013 kein Weizen mehr aus dem Ausland bezahlt werden kann und die Hungersnot sich ausweiten würde. Mursi stand vor der Pleite, nachdem die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds gescheitert waren. Der Wirtschaftszweig Tourismus liegt am Boden. Welcher Tourist will schon an nach Geschlechtern getrennten Stränden das Meer genießen.

Weil Mursi gestürzt und Mubarak kurz vor seiner Freilassung steht ist Saudi-Arabien wohl der Gewinner des Putsches. König Abdullah, der freilich seine Untertanen als Leibeigene hält, ist ein enger Freund Mubaraks und nach Beginn des Arabischen Frühlings kann er wieder die Initiative ergreifen und Ägypten mit Geld und Öl versorgen, damit die Touristen wiederkommen. Das Geld des Emirs von Qatar konnte das nicht bewirken, der Mäzen des Islamismus steht als Verlierer da. Auch die türkische Regierung und die Hamas, die ebenfalls Ableger der Muslimbruderschaft sind, gehören zu den Verlierern, ebenso wie der Iran. Die USA bleiben mehr oder weniger Zuschauer.

Die USA hatten Mursi  noch vor kurzem 140.000 Tränengascontainer im Wert von 2,5 Millionen US-Dollar geschickt, trotz Obamas berühmt-berüchtigter Kairoer Rede im Juni 2009: „Zu viele Tränen sind geflossen!“ Diese unsägliche westliche Unterstützung von Islamisten hat Tradition. Jimmy Carter unterstützte mit seinen Verbündeten die islamistischen Mujaheddin in ihrem Kampf gegen die gottlose Sowjetunion und Bill Clinton machte mit Gerhard Schröder gemeinsame Sache mit Bin Laden in Bosnien gegen die Serben.

Die katastrophale ökonomische Situation, die fehlenden demokratischen Strukturen, die Ungleichberechtigung von Mann und Frau und die mangelnde Rechtsstaatlichkeit erfordern von westlicher Politik eine eindeutige Unterstützung der säkularen, demokratischen Kräfte in der Region, was allerdings den wirtschaftlichen Interessen von Westerwelle und Co. diametral entgegenzustehen scheint, weshalb der Westen, wie auch in der Türkei, die Islamisierung und damit das Verweilen im Mittelalter dieser Länder unterstützt oder zumindest begünstigt.

Stefan Frank schreibt dazu sehr treffend in der Augustausgabe von Konkret in „Brotlose Diktatur“: „Israel hat alles richtig gemacht: sich von Anfang an still verhalten und abgewartet. Es braucht sich nicht vorwerfen zu lassen, aufs falsche Pferd gesetzt oder in unbegründete Euphorie verfallen zu sein. Dass mit der Muslimbruderschaft auch die Hamas und ihr Sponsor Qatar geschwächt werden, ist erfreulich. Wenn demnächst wieder Touristen statt, wie derzeit, Terroristen den Sinai bereisen würden, wäre aus israelischer Sicht das Gröbste überstanden – bis zum nächsten Putsch.“

——

Update 22.08.2013:  Weiterführende Informationen in Putsch und Terror bei Nichtidentisches

15 Kommentare leave one →
  1. 21. August 2013 10:52

    Im Presseclub des letzten Sonntags zeigte sich die taz-Journalistin Bettina Gaus am besorgtesten über die Marginalisierung der Muslimbruderschaft. Mittlerweile ist es leider an der Tagesordnung, dass ausgerechnet Linke am meisten mit den antisemitischen islamischen Sekten sympathisieren. Raetselhaft bleibt aber, wieso überhaupt Frauen arabischen und iranischen „Religionen“ etwas abgewinnen, wo doch dorten die Zweitklassigkeit, die „natürliche und gottgewollte Minderwertigkeit“ der Frau einen hohen Stellelwert einnimmt? Doch dieser Fall kommt immer wieder vor, seltener in Mittelost (Tawakkul Karman), haeufiger aber in Deutschland, wo es inzwischen fast PC ist, mit islamischen Gruppen zu sympathisieren….

    Eine Beobachtung dazu am Rande (auch in ARD und ZDF zu sehen): auf den Demonstrationen der jüngsten Zeit waren in Tunesien die Haelfte, wenn nicht mehr, junge, moderne Frauen, in Aegypten (bei den Mursi-Sympathisanten) sah man fast nur Maenner, die paar Dutzend Frauen marschierten in streng abgetrennten Blocks.

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    • 22. August 2013 10:45

      Es bleibt für mich auch ein ewiges Rätsel wie sich angebliche Linke einerseits für die Gleichberechtigung in Deutschland oder Europa einsetzten und andererseits mit ihrer Solidarität für die Muslimbrüder, die Hamas und die Hisbollah hausieren gehen können. Ich habe nach wie vor nur einen Lösungsansatz dafür: Es muss ihr (linker, sekundärer, antizionistischer) Antisemitismus sein. Weil die Muslimbrüder und die anderen Islamisten Israel zerstören wollen sind sie ihnen vermutlich so sympathisch.

      Wenn nun viele Frauen in Ägypten gegen die fortschreitende Islamisierung und damit ihre eigene Unterdrückung aufbegehren, dann wäre das ein hoffnungsvolles Zeichen.

      Wenn reaktionäre, frauenunterdrückende, fanatisch gläubige Ägypter für Mursi demonstrieren, dann ist das in sich logisch.

      Wenn (angeblich) linke Journalisten nichts eindeutig Kritisches gegen die Ideologie der Muslimbrüder vorzubringen in der Lage sind, dann zeugt das von der ideologischen Verwahrlosung dieser Kreise.

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  2. 21. August 2013 13:54

    Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour fühlt sich durch die Bürgerkriegs-Bilder aus Ägypten „an die Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking” erinnert. „Was im Moment in Kairo geschieht, ist noch sehr viel schlimmer“, sagte Scholl-Latour unserer Berliner Redaktion.

    Kairo schlimmer als Peking?

    Ich habe noch nie etwas davon gelesen, dass Peter Scholl-Latour das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens besonders beklagt hätte, zumal er Demokratie ohnehin nur für einen westlichen Zirkus hält, der nicht nach Asien oder Afrika passe.

    Also verwundert es auch nicht, dass er das Vorgehen gegen die ägyptischen Islamisten als viel schlimmer bezeichnet als jenes gegen die chinesischen Demokraten.

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    • Pirol permalink
      26. August 2013 09:02

      Peter Scholl-Latour bezeichnet den Iran als Demokratie. Scholl-Latour schreibt für die neurechte, besser rechtsextreme „Junge Freiheit“. Islamisten und Rechtsradikale passen eben gut zusammen.

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  3. Pirol permalink
    21. August 2013 21:32

    Nicht nur das Militär sondern eine millionenfache Massenbewegung hat die Regierung der Muslimbrüder zu Fall gebracht.

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  4. 21. August 2013 21:55

    Islamismus ist ein friedenresistentes Monster. Islamisten bekämpfen fanatisch und mörderisch alle westlichen Werte, bedienen sich dabei furchtbarster antisemitischer Hasspropaganda. Im naiven Europa wird dies nur allzu gerne verharmlost oder geleugnet. Mursis Sturz birgt eine Chance für eine Wende zum Besseren. Ob diese Chance ergriffen wird darf bezweifelt werden.

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  5. 22. August 2013 09:34

    Ich schließe mich Matthias Küntzel an:

    Zu den „magisch-religiös-kulturell-politischen“ Plunderstücken, die aus den Köpfen und Seelen auch der Mursi-Gegner hinausgeworfen werden sollten, gehört der Hass auf Israel, hat doch der desolate Zustand der ägyptischen Wirtschaft – und damit die Perspektive der Anti-Mursi-Bewegung – in erster Linie mit dem Israel-Boykott zu tun.

    Israel ist nicht nur eines der bedeutendsten High-Tech-Länder der Welt sondern auch führend bei der Bewältigung von Problemen der Land- und Bewässerungswirtschaft. Wenn Ägypten seine politisch motivierte Selbstblockade aufgäbe, den Friedensvertrag mit Israel mit Leben erfüllte und bereit wäre, mit Israel und anderen interessierten Staaten eine Wirtschaftsunion nach dem Vorbild der europäischen Einigung aufzubauen – dann, nur dann, stünde einem wirtschaftlichen Aufschwung und der Festigung liberaler Werte nichts im Wege.

    Solange es der Antisemitismus aber vermag, eine solche gedeihliche Zusammenarbeit zu verunmöglichen, wird sich auch die Muslimbruderschaft von ihrer gegenwärtigen ideologischen Krise wieder erholen und früher oder später neue Mitglieder rekrutieren. Der 3. Juli hat zwar neue Möglichkeiten geschaffen, wie sie aber genutzt werden, ist offen.

    http://www.matthiaskuentzel.de/contents/wer-weint-der-muslimbruderschaft-eine-traene-nach

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    • 2. September 2013 13:40

      Der Rainer Trampert schreibt, dass Guido Westerwelle bisweilen unglücklich operiert, ist bekannt. Als die Muslimbruderschaft in Ägypten an die Macht gekommen war, erklärte er, Mohammed Mursi sei ein Mann der Demokratie und religiösen Toleranz, während Mursi die Fesseln der Sharia anzog und Juden als »Blutsauger« diffamierte. Im Juli verkündete Westerwelle, man könne die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU daran erkennen, dass sie allen israelischen Projekten im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und auf den Golan-Höhen die Unterstützung entziehe: Stipendien, Zuschüsse, sonstige Hilfen. In einer Epoche, in der die Fußtruppen Irans, Syriens, Saudi-Arabiens und Katars im Krieg um die Vorherrschaft im arabisch-islamischen Raum sich gegenseitig in die Luft sprengen und mit Giftgas umbringen und nebenher christliche Kirchen in Brand setzen und Raketen auf Israel abfeuern, fühlt Europa sich aufgefordert, ein Signal gegen Israel, das niemand bedroht, zu senden. Man könnte sich doch auch anders bei den Arabern anschleimen, etwa die Mitglieder der ägyptischen Junta als lupenreine Demokraten bezeichnen.

      Mannoman, wenn dat der Möllemann hätte erleben dürfen. Der Querfrontler Westerwelle könnte ungeniert in antisemitischen oder nationalbolschewistischen Zeitungen schreiben. Vielleicht sattelt der Guido nach der Wahl um und tut die Nahostexpertn in Funk und Print verdrängn.

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  6. 22. August 2013 15:39


    Das isn Ding.
    Der Komiker von der FDP vereint mit Lutz Herden und der Jungen Welt.

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  7. 23. August 2013 10:50

    Zum Thema gab es gestern im ZDF eine Talksendung. Peter Scholl-Latour und die anderen Gäste waren eine Katastrophe. Einzig Hamed Abdel-Samad machte vernünftige Aussagen.
    Danke für den Artikel.

    http://www.zdf.de/maybrit-illner/Ägypten-zwischen-Glaube-und-Gewalt-29396754.html

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  8. Rosa permalink
    24. August 2013 22:51

    „Welcher Tourist will schon an nach Geschlechtern getrennten Stränden das Meer genießen.“
    Keine Frage.

    Klasse Artikel.

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  9. 28. Dezember 2013 13:43

    Endlich hat die ägyptische Führung die Muslimbruderschaft zu dem erklärt was sie ist, eine Terrororganisation!

    http://www.n-tv.de/politik/Aegypten-verbietet-alle-Aktivitaeten-article11975986.html

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